Montag, 11. Dezember 2023

Kulturbrief 9: Wenn die Kinder ausziehen - Meine OÖN-Rezension zum neuen Roman von Doris Knecht

 Wozu Geschichten erfinden? Das Leben ist einfallsreich genug. Doris Knecht erzählt in ihrem neuen Buch mit dem paradoxen Titel „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ von den alltäglichen Herausforderungen einer Wendezeit. Die Zwillinge Max und Mila haben gerade maturiert und spielen ernsthaft mit dem Gedanken, aus der Wohnung auszuziehen, in der sie mit ihrer alleinerziehenden Mama sei fast zwei Jahrzehnten gelebt haben.

Keine einfache Situation für die Mutter, aus deren Perspektive die Autorin erzählt. Erstens stellt sich, wenn die Kinder signalisieren, dass sie jetzt ihr Leben selbst in die Hand nehmen, ein ambivalentes Gefühl ein: einerseits Befreiung und Erleichterung, andererseits Wehmut und Abschiedsschmerz. Zweitens entsteht für die Erzählerin dadurch ein pragmatisches Problem mit emotionaler Grundierung. Wenn Mila und Max ausziehen und die Alimente ausbleiben, kann sie sich die Wohnung nicht mehr leisten, die nicht nur bloße Behausung ist.

Mit einem Ort, an dem wir lange unser Leben verbracht haben, verbinden wir Erinnerungen und Befindlichkeiten, er ist in gewisser Hinsicht Symbol unserer Identität geworden. Daher verbindet sich die Suche nach einer neuen Wohnung zwangsläufig mit der belastenden Frage nach der Neuausrichtung und Qualität des künftigen Lebens. Leitmotivisch zieht sich dieser Motivkomplex durch Doris Knechts Roman, der keinen stringenten Plot zur Grundlage hat, sondern aus Episoden, Momentaufnahmen und Erinnerungsbildern besteht.

Die Erzählerin erinnert sich nicht nur an Phasen des Heranwachsens ihrer Zwillinge und an ihre gescheiterte Liebesbeziehung mit deren Vater, sondern auch an die eigene Herkunftsfamilie, in der sie neben vier blonden Schwestern immer eine etwas sperrige Sonderrolle besetzte. Während Eltern und Schwestern traditionelle Lebensformen – Ehe, Kinder, Eigenheim – gewählt haben, folgte die Erzählerin den Verlockungen der Freiheit. Bekanntlich halten sie nicht immer, was sie versprechen.

Die saloppe, humorvolle, mit umgangssprachlichen Floskeln gespickte Erzählsprache soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autorin immer wieder gewichtige Themen anspricht, die des ernsten Nachdenkens wert sind: Wie zuverlässig ist das Bild, das ich mir von mir mache? Werden unsere Kinder nur dann erwachsen, wenn wir aufhören, sie als Kinder zu behandeln? Wir komme ich mit dem Alleinsein zurecht? Leide ich darunter oder halte ich es mit Wilhelm Busch: Wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut?

Wer einen literarischen Stimmungsaufheller sucht, ohne auf seine mühsam erarbeiteten Desillusionierungen verzichten, wird mit „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ seine Freude haben.

Doris Knecht: „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“, Roman, Hanser Berlin, 235 Seiten, 24,70 Euro

Sonntag, 19. November 2023

Kulturbrief 8: Karl-Markus Gauß im OÖN-Gespräch mit Christian Schacherreiter

 

Die Grundlagen unserer Zivilisation ändern sich dramatisch


SCHACHERREITER Der alte Goethe schrieb einmal den bemerkenswerten Satz: Man wird sich selbst historisch. Fängst du damit etwas an oder kommt dieser Satz für dich zu früh?

GAUSS Der Satz kommt nicht zu früh. Erstens weil ich mein Leben im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen sehe, die historisch sind. Zweitens ist vieles in meinem Leben schon vorbei, und ich stelle natürlich die Frage: Was habe ich in all den Jahren gewollt? Woraus ist nichts geworden, woraus schon? Nicht nur in privater Hinsicht, sondern auch politisch. Was habe ich falsch gesehen? Wofür soll ich weiterhin einstehen? Und so weiter…

Die linke Studentengeneration, zu der wir damals gehörten, war unzufrieden mit der Gesellschaft und wollte Veränderung. Ich würde sogar von Fortschrittspathos sprechen. Die Welt hat sich auch verändert, aber nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Manche scheint das sehr gekränkt zu haben, aber damit musste man wohl rechnen.

Haben wir überhaupt ein klares Konzept gehabt dafür, wie sich die Welt verändern soll? Ich habe an der Universität diese jugendlichen Formen heiterer Renitenz erlebt, die dann zu fast sektiererischem politischem Kaderdenken mutiert sind. Ich bin – vielleicht durch Zufall, vielleicht auch durch charakterliche Disposition – nicht in diese linken Fraktionierungen hineingeraten. Am nächsten stand ich damals diesen abgehängten Kommunisten wie Ernst Fischer. Heute sehe ich sie zwar auch kritischer als damals, aber interessante Denker waren sie schon. Was ich bedaure, ist, dass ich damals viele leere Lesekilometer hinter mich gebracht habe mit eher dummen, rein ideologischen Büchern wie „Der Roman als bürgerliche Institution“.

Findest du es überzogen, von einem epochalen Wandel rund um die Jahrtausendwende zu sprechen? Ich habe oft das Gefühl, aus einer anderen Welt zu kommen. Wenn wir an unsere Kindheit denken, da war der Fernsehapparat die kühnste mediale Revolution. Schlagwörter für den großen Epochenbruch wären aber Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel.

Schon im Gefolge von 1968 hat sich die Gesellschaft gewandelt und in vielem auch zum Guten. Darauf beharre ich. Aber dieser Wandel war – historisch gesehen – wesentlich geringer, als es jetzt der Fall ist, wo sich tatsächlich die Grundlagen unserer Zivilisation dramatisch verändern.

Um mit Marx zu sprechen: die Produktivkräfte werden revolutioniert – allerdings mit unmarxistischen Folgen.

Man müsste aus demokratischer linker Perspektive fragen: Welches emanzipatorische und humanistische Potenzial haben diese Veränderungen, und wie könnte man sie politisch in diese Richtung  steuern? Mit dieser Verheißung sind ja die Leute im Silicon Valley einmal angetreten: Demokratisierung der Kommunikation. Aber heute erleben wir, dass die dümmsten populistischen Bewegungen mit der digitalisierten Kommunikation Hand in Hand gehen und dass die Gesellschaft in sich selbst bestätigende Blasen zerfällt. Die Vorstellung, immer intelligentere Botschaften würden das Netz durchdringen und langfristig zu einem qualitativen Strukturwandel der Öffentlichkeit führen, ist heute fast lächerlich geworden. Das beginnt bei Kindern, die keine zwei Minuten mehr konzentrationsfähig sind, geht über Studierende der Germanistik, die keinen längeren Roman mehr durchalten, bis hin zur Krise des kritischen Feuilletons. Wenn ich heute über ein aus meiner Sicht interessantes Osteuropa-Thema schreiben will, sagt man mir: Na gehen S‘, Herr Gauß, schreiben Sie doch lieber über dieses Buch einer queeren karibischen Autorin, die mit dem Enkel eines Holocaust-Opfers in Tanger eine prekäre Beziehung eingeht und sich in Rotterdam im Drogenmilieu verirrt.

Viele deiner Reisebücher haben etwas mit dem osteuropäischen und südosteuropäischen Raum zu tun. Wenn du heute einen nüchternen Blick auf diese Regionen wirfst, siehst du dann auch eine bedrückende Fülle ungelöster historischer Probleme?

Absolut. Nicht selten verlaufen diese Krisen auf uralten historischen Bruchlinien, die in der Gegenwart weitermachen und zu permanenter Aufrüstung führen. Dieses Beharrungsvermögen der Geschichte steht in Widerspruch zur Beobachtung, dass sich alles verändert und alles Alte verschwindet.

Das blöde Alte bleibt.

Leider. Ich hatte in den Achtzigerjahren gute Kontakte mit beeindruckenden osteuropäischen Intellektuellen, die sich für den Westen interessiert haben. Und ich darf sagen, dass ich ein bisschen daran beteiligt war, dass wir uns auch verstärkt für Osteuropa interessiert haben. Das ist vorbei. Osteuropa und Südosteuropa sind mit ihrem eigenen Diskurs beschäftigt und der ist nicht mehr auf kritischen Austausch angelegt. Jean Amery hat einmal gesagt, das Schlimme am Altwerden sei nicht, dass körperlich das eine oder andere nicht mehr möglich ist, sondern das Bewusstsein, dass eine Welt um einen wächst, zu der man keinen geistigen Zugang mehr findet.

Offen gesagt, so befremdlich erlebe ich Teile der digitalen Medienwelt, zum Beispiel künstliche Intelligenz. Wie geht es dir damit?

Natürlich benütze ich das Internet, radikale Modernisierungsverweigerung wäre ja selbstschädigend. Aber ich muss mir nicht mehr alles zumuten, nur weil es modern ist. Manches überfordert mich technisch, manches verweigere ich trotzig. Es ist eine Gratwanderung.

Sprechen wir über Literatur und blenden wir noch einmal in die Siebzigerjahre zurück. Damals hatte Literatur „gesellschaftskritisch“ zu sein und nach Möglichkeit sprachlich und formal avantgardistisch. Das traditionelle Erzählen, hieß es, sei an sein Ende gekommen. Das ist aber nicht eingetreten.

Und da muss man sagen: Gott sei Dank ist es nicht eingetreten. Ich respektiere die Arbeit experimentell arbeitender Künstler. Sie haben es ohnedies nicht leicht, weil sich das kaum jemand anschauen oder anhören will. Aber die These, erzählen sei in der Moderne grundsätzlich nicht mehr möglich, war ein ähnlich dogmatischer Unsinn wie die Aussage, man könne keine Menschen mehr malen. Das wurde als große Modernisierung ausgegeben. Heute hängt in den Büros von Generaldirektoren und auch von konservativen Politikern meistens ein Nitsch oder irgendein gestischer Expressionist…

Und Thomas Bernhard ist längst zum Liebling des konservativen Bildungsbürgertums avanciert.

Ich gehöre zur kleinen Gruppe derer, die Thomas Bernhard nicht für den heiligen Thomas halten, sondern für einen Autor, der eine manichäische, auch denunziatorische und elitär-antidemokratische Literatur geschrieben hat, wenn auch auf sehr hohem Niveau.

Es gibt so viele kluge Bücher von dir, Essays, Journale, Reiseliteratur. Hat es dich nie gereizt, einen Roman oder Lyrik zu schreiben?

Lyrik nicht, aber ich glaube, dass ich in meinen Büchern, auch wenn sie nicht als fiktionale Literatur gelten, stark vom Erzählen Gebrauch mache. Es ist nicht alles, was ich geschrieben habe, zu hundert Prozent verbürgt. Ich gehe zwar von Fakten aus, arbeite aber manchmal bewusst mit Fiktionen, damit die Fakten besser erkennbar werden.

(Eine etwas gekürzte Version dieses Gesprächs erschien am 13.10.23 in den Oberösterreichischen Nachrichten)

Sonntag, 1. Oktober 2023

Kulturbrief 7: Was dürfen wir hoffen?

 

Das 26. Philosophicum Lech bespielte unter dem Motto „Alles wird gut“ das weite Feld zwischen Utopie und Apokalypse. Meine kleine Nachlese erschien am 30.9. in den OÖN

Am „Vorabend“, der traditionellen Auftaktveranstaltung zum Philosophicum Lech, diskutierte der Philosoph Konrad Paul Liessmann mit dem Autor Michael Köhlmeier den auf Hesiod zurückgehenden Mythos von der „Büchse der Pandora“. Laut Hesiod war Zeus erzürnt darüber, dass der selbstherrliche Titan Prometheus menschliche Wesen erschaffen hatte, und rächte sich mit einem teuflischen Geschenk.

Der Göttervater schickte die bezaubernde Pandora mit einer Büchse zu den Menschen, in die er sämtliche Übel gepackt hatte, von Krankheiten und Leiden über Laster bis hin zur Sterblichkeit. Epimetheus, der dümmere Bruder des Prometheus, fiel auf Pandora herein und ließ die Büchse öffnen. Erst als alle Übel entwichen waren, schloss er sie wieder. Pandoras Büchse war aber noch nicht leer. Ganz unten wäre noch die Hoffnung gelegen – und so wurde die Erde für den Menschen nicht nur zu einem üblen, sondern auch zu einem hoffnungslosen Ort.

Der von Liessmann gerne zitierte Philosoph Friedrich Nietzsche bot allerdings eine alternative Interpretation des Missgeschicks an: Die Hoffnung ist sehr wohl auch entwichen, erweist sich aber als das größte aller Übel, weil sie den Menschen zu Illusionen über sein jämmerliches Dasein verführt. Diese spannungsreiche Ambivalenz bestimmte nicht nur den Untertitel des 26. Philosophicums Lech („Zur Dialektik der Hoffnung“), sie zog sich als roter Faden durch die Vorträge der Referentinnen und Referenten, die nicht nur aus dem Fachbereich Philosophie kamen und so die interdisziplinäre Weite des Themas repräsentierten.

Immanuel Kant stellte die Frage „Was dürfen wir hoffen?“ noch im religiösen Kontext der Metaphysik, weil sie über den Tod hinausweist. Dass sich die Frage nach göttlicher Transzendenz auch in unserer säkularisierten Gesellschaft nicht völlig erledigt hat, zeigte sich in den Referaten des Berliner Theologen Hartmut von Sass und des Grazer Philosophen Peter Strasser. Von Sass unterscheidet zwischen der konkreten Hoffnung auf etwas, zum Beispiel auf einen beruflichen Erfolg, und der Hoffnung als Grundstimmung. Wer grundsätzlich „hoffnungsvoll lebt“, begegnet der Welt und den Menschen anders als der Hoffnungslose. Hoffnung definiert von Sass als „Sinn für die Möglichkeit des Guten“, verbunden mit einem Grundvertrauen in die Gestaltungskraft des Menschen, gerade auch unter ungünstigen Bedingungen.

Säkulare Staats- und Sozialutopien sind ein starker Vertrauensbeweis in diese menschliche Gestaltungskraft. In Ernst Blochs Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“, das die Kulturwissenschaftlerin Francesca Vidal ins Zentrum ihres Referats stellte, sind Tagtraum und Hoffnung die elementare Kraft hinter unseren utopischen Anstrengungen. Dass diese selbstbewusste Haltung zur Welt auch auf verhängnisvollen Irrtümern beruhen und zu inhumaner politischer Praxis führen kann, zeigt die Geschichte des radikalen Sozialismus. Der undogmatische Marxist Ernst Bloch verließ die DDR 1961, kurz nach dem Mauerbau.

Große gesellschaftspolitische Hoffnungskonzepte haben – ähnlich wie religiöse Heilsbotschaften – im mehr oder weniger aufgeklärten Westen ihre Anziehungskraft verloren. Die Hoffnung, dass vielleicht nicht alles, aber doch so manches gut werden könnte, stützt sich heute eher auf den technologischen und naturwissenschaftlichen Fortschritt. Die menschliche Hoffnung auf Unsterblichkeit wird, wie die Biochemikerin Renée Schroeder humorvoll ausführte, vom Jenseits ins Diesseits verlagert. Ob die Vorstellung, durch biochemische Intervention das Leben des Menschen auf 500 Jahre zu verlängern, tatsächlich wünschenswert ist, bleibt allerdings umstritten; ebenso wie die von der Philosophin Catrin Misselhorn relativierte Hoffnung, eine zur Superintelligenz weiterentwickelte Künstliche Intelligenz werde für uns alle Probleme lösen, die wir selbst verursacht haben, zum Beispiel den Klimawandel.

Es war nicht überraschend, dass die Dialektik von Hoffnung und apokalyptischer Furcht mehrmals am Öko-Thema diskutiert wurde, wobei sich relativer Pessimismus (vertreten durch den Soziologen Harald Welzer) und vorsichtiger Optimismus (vertreten durch den Ökonomen Fred Luks) in etwa die Waage hielten. Einigkeit bestand darüber, dass die Zukunft grundsätzlich offen und Hoffnung realistisch ist, solange Möglichkeiten des Handelns erkennbar sind. Und manchmal kann es angebracht sein, das erkennbar Sinnvolle zu tun, auch dann, wenn die Erfolgsaussichten mager sind.

Mit dieser Ermunterung ging das 26. Philosophicum Lech zu Ende. Es war wie immer professional organisiert und bot mehr als 600 denkwilligen Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe an einem anspruchsvollen, aber auch heiteren philosophischen Diskurs. Für das 27. Philosophicum (17.-22.9.2024) hat Konrad Paul Liessmann die bekannte Schweizer Philosophin Barbara Bleisch als Co-Intendantin ins Leitungsteam geholt. Das Thema: „Sand im Getriebe. Eine Philosophie der Störung“.


Donnerstag, 24. August 2023

Kulturbrief 6: "Die Dauer der Liebe" von Sabine Gruber

Sabine Grubers neuer Roman "Die Dauer der Liebe" gehört zu den besten Neuerscheinungen, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Warum ich das meine, habe ich für die Oberösterreichischen Nachrichten (24.8.23) folgendermaßen ausgeführt:

Die Übersetzerin Renata Spaziani bekommt eines Morgens Besuch von der Polizei. Der Beamte teilt ihr mit, dass der Künstler Konrad Grasmann, seit 25 Jahren Renatas Lebensgefährte, auf einem Parkplatz tot zusammengebrochen ist. Eine dauerhafte, tiefe Liebesbeziehung wird plötzlich abgerissen; Schmerz und Trauer sind heftig.

Der Verlust des geliebten Mannes bleibt aber nicht die einzige Zumutung, mit der Renata zurechtkommen muss. Ihre Partnerschaft mit Konrad war rechtlich nicht abgesichert, und das Testament, das Konrad hinterlassen hat, erweist sich als ungültig. Das wäre vielleicht halb so schlimm, wäre da nicht Konrads Tiroler Familie.

Konrads Geschwister, vor allem der jüngere Bruder Marcel, setzen sich über die Wünsche des Verstorbenen pietätlos hinweg. Die schwierigste Angehörige ist Mutter Henriette, schon zu Lebzeiten des Verstorbenen ein Musterbeispiel an mangelnder Empathie, Bösartigkeit und bigotter Selbstgerechtigkeit.

Obwohl Konrad allem Kirchlichen fernstand, wird ein katholisches Begräbnis inszeniert. Der in Kunstfragen inkompetente Marcel nimmt nicht nur Konrads künstlerische Werke an sich, sondern bedient sich auch an Einrichtungsgegenständen und Kleidungsstücken, um sie im Internet zu verscherbeln. Renata ist nicht imstande, sich gegen die Familie zu wehren. Halt geben ihr gute Freundschaften, vor allem die zu Bruno, einem Kriegsfotografen, den man schon aus Sabine Grubers Roman „Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“ kennt.

Es ist nicht leicht, für dieses sensible Thema eine angemessene Sprache zu finden. Nur eine Autorin mit dem stilistischen Können einer Sabine Gruber ist solch einer Herausforderung gewachsen. Ihre Sprache ist gefühlvoll, aber ohne Pathos, bisweilen ironisch, aber ohne jeden Zynismus. Zurückhaltend, aber treffend geht sie mit Metaphern um.

So erzählt Gruber von den mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen Renatas, mit dem Verlust ihres Lebensmenschen zurechtzukommen, von Erinnerungen an eine Liebe, die nicht nur Schönwettertage hervorbrachte, von der Notwendigkeit, sich auf den neuen Lebensabschnitt zu besinnen und vielleicht auch eine neue Liebesbeziehung zu erwägen. Gelungen sind auch die Abschnitte, in denen Sabine Gruber von Konrad Grasmanns künstlerischer Arbeit erzählt, in deren Mittelpunkt ein politisch heikles Thema stand: die Architektur in der Pontinischen Ebene, die in den Dreißigerjahren unter Mussolini trockengelegt wurde.

Gewidmet ist „Die Dauer der Liebe“ Wolfgang Fetz, dem langjährigen Leiter des Bregenzer Kulturamts, geboren 1958, verstorben im Jahr 2022. Autobiographische Zusammenhänge dürfen vermutet werden, aber ein Roman präsentiert Erlebtes und Erlittenes allemal in freier, fiktionaler Gestalt. Das ist zu respektieren.

Sabine Gruber: „Die Dauer der Liebe“, Roman, C.H. Beck, 250 Seiten, 24,80 Euro


Mittwoch, 5. Juli 2023

Kulturbrief 5: Gudrun Seidenauer hat einen lesenswerten Roman geschrieben

Meine Rezension zu Libellen im Winter (Verlag Jung und Jung) ist am 1. Juli 23 in den OÖN erschienen:

Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist, sagte Friedrich Torbergs berühmte Tante Jolesch. Mali hat „noch so ein Glück“, denn sie hat wenigstens ihre Tante Ada in Wien, bei der sie Zuflucht findet. Was die junge Frau hinter sich hat, ist aber das blanke Unglück. Zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt – und das gleich über beide Ohren, wird sie von ihrem Freund Roland schwanger. Roland trennt sich von Mali, nicht aus roher Rücksichtslosigkeit, sondern aufgrund verhängnisvoller Umstände, und sie verlässt fluchtartig ihr tschechisches Heimatdorf. Wenige Tage später marschiert die Rote Armee ein. Wir schreiben das Jahr 1945.

In Wien lernt Mali eine andere junge Frau kennen. Vera hat in Notwehr einen amerikanischen Soldaten erschlagen, der sie vergewaltigen wollte. Sie konnte unerkannt fliehen und findet nun Zuflucht bei Mali, die eine zuverlässige Mitbewohnerin brauchen kann, die auf ihren kleinen Robert aufpasst. Es gibt zwar noch eine zweite Mitwisserin, aber auf Gretes solidarisches Schweigen ist Verlass.

Grete arbeitet als Dolmetscherin bei der US Army und träumt davon, eines nicht allzu fernen Tages im glamourösen New York zu leben. Einstweilen muss sie sich mit dem Wiener Vorgeschmack des american way of life bemühen: Army-Bars und Tanzmusik, Orangen und Nylonstrümpfe. Solche Vergünstigungen haben zwar ihren Preis, aber Grete achtet darauf, dass er nicht zu hoch ausfällt, denn sie liebt eigentlich Frauen. Keine einfache Gratwanderung!

Gudrun Seidenauer erzählt in ihrem neuen Roman „Libellen im Winter“ von einer ungewöhnlichen Frauenfreundschaft, die als Zweckgemeinschaft für harte Zeiten beginnt, aber über Jahrzehnte Bestand hat. Aus wechselnden Perspektiven beleuchtet sie nicht nur die Lebenswege der drei Frauen und Roberts nicht ganz einfachen Weg ins Erwachsenenalter, sondern auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die vier individuellen Biographien verankert sind.

Man macht sich heute keine Vorstellungen mehr von der rechtlichen und sozialen Diskriminierung, denen lesbische Frauen wie Grete in der Nachkriegszeit noch ausgesetzt waren. In den Sechzigern kündigen sich Modernisierung und Liberalisierung zumindest zaghaft an. Auch die ökonomische Lage verbessert sich und im Jahrzehnt des Wirtschaftswunders machen die drei Freundinnen schon Urlaub in Italien.

Im letzten Romankapitel lebt die neunzigjährige Mali im Altersheim. Ihre Pflegerin heißt Manal, eine Frau, der nach furchtbaren Erlebnissen die Flucht aus Syrien geglückt ist. Auch sie hat „noch Glück gehabt“ im Sinne der Tante Jolesch. Und damit schließt sich der weite epische Bogen eines inhaltlich bewegenden und kompositorisch überzeugenden Romans.

Montag, 26. Juni 2023

Kulturbrief 4: Schöne Erinnerung an Franz Rieger im StifterHaus Linz

 

Der Name Franz Rieger ist selbst  in der literarischen Community von Oberösterreich nur mehr uns Älteren ein Begriff. Sein Werk droht in Vergessenheit zu geraten. Ein bedauerlicher Irrtum, denn der 2005 verstorbene Franz Rieger gehört zu den besten Erzählern des Landes. Er war schon fünfzig, als 1973 sein erster Roman „Paß“ erschien; geschrieben hat Franz Rieger allerdings schon seit seiner Jugend. Schreiben war seine eigentliche Daseinsform, auch wenn seine in eigenwilliger Mikroschrift beschriebenen Manuskripte jahrelang von Verlagen zurückgewiesen wurden.

Rieger kämpfte nicht um den äußeren Erfolg, er suchte nicht einmal das sogenannte Licht der Öffentlichkeit. Er schrieb unentwegt, weil er schreiben musste. Seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie sicherte er seit 1955 als Bibliothekar bei den Büchereien der Stadt Linz.

Nachdem im Jahr 1973 der Roman „Paß“ erschienen war, stieg – zumindest vorübergehend – die Wahrnehmungskurve steil an. In rascher zeitlicher Folge wurden nun weitere Romane gedruckt. Riegers bis heute meistgelesenes Buch ist – vorrangig wegen dessen gesellschaftskritischer Thematik – der Roman „Schattenschweigen oder Hartheim“ (1985). Die Rieger-Ausstellung im StifterHaus zeigt allerdings, dass es bedauerlich wäre, würde man den Autor auf sein erfolgreichstes Werk reduzieren.

Das Ausstellungskuratorium, bestehend aus Gerhard Zeillinger, Georg Hofer und Petra-Maria Dallinger, rückt neun Bücher von Franz Rieger ins Zentrum (Ausstellungsgestaltung: Gerold Tagwerker), denen fünf bestimmende Motive und Themen der literarischen Rieger-Welt zu entnehmen sind: das Dorf, das Schweigen, beobachten und beobachtet werden, bedrohte Psyche, Gewalt. Inhalt und Sprache weisen Franz Rieger als abseitigen, eigenwilligen Repräsentanten der literarischen Moderne aus, dessen Werk prominente Assoziationen anstößt: die Verlorenheit von Franz Kafkas Protagonisten, die abgründige Ereignisarmut in der Prosa von Adalbert Stifter, die gesellschaftskritische Haltung von Thomas Bernhard.

„Der monomanische Schreiber: Franz Rieger (1923-2005)“; StifterHaus Linz, Ausstellungsdauer: 21.6.23 – 23.5.24, Dienstag-Sonntag 10-15 Uhr

(Dieser Beitrag beruht auf meinem Bericht für die OÖN vom 24.6.23)

Dienstag, 6. Juni 2023

Kulturbrief 3: Kritik der "Textsorten"-Didaktik

Mit meiner Kritik an der Schreibdidaktik, die sich als Folge der standardisierten Reifeprüfung flächendeckend über die Sekundarstufe II legt, bin ich nicht allein. DIE FURCHE hat mir die Möglichkeit gegeben, in der Kolumne DIESSEITS VON GUT UND BÖSE (4.5.23) meine Meinung darzulegen. 

Sixtus Beckmessers Deutsch-Matura

Sowohl in der Wiener Staatsoper als auch im Linzer Musiktheater steht derzeit Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Programm. Ein Aufführungsbesuch ist nicht nur Opernfreund(inn)en zu empfehlen, sondern auch dem Freundeskreis „kompetenzorientierter Didaktik“. Am erhellenden Beispiel des Meistersingers Sixtus Beckmesser können sie sehen und hören, wie es um die Kunst stünde, würden Pedanten wie Beckmesser die Richtung vorgeben.

Wagners Oper ist eine treffende Satire auf jene unangenehme Sektion der Kunstkritik, die sich im Besitz eines verbindlichen Regelsystems für die „Herstellung“ von Musik und Literatur wähnt. Ein wirklich gutes Lied hat zwar auch „handwerkliche“ Implikationen, es ist aber mehr als ein Werkstück. Harmonielehre, Metrik, Metaphorik – das alles kann man lernen; dichten und komponieren nur zum Teil.

Schön und gut, wird man nun einwenden, aber was hat das mit „kompetenzorientierter Didaktik“ im Allgemeinen und mit der standardisierten Reifeprüfung aus Deutsch im Speziellen zu tun? Leider ziemlich viel – zumindest dann, wenn man auch einen Schüleraufsatz als sprachlich-kreative Hervorbringung achtet. Allein die Richtlinien, nach denen die Aufgaben für die Reifeprüfung erstellt werden müssen, sind Beckmesserei, ein pedantischer Regelkanon, der die Sache einerseits unnötig verkompliziert, andererseits ein Korsett schnürt, das Schreibprozesse so sehr reglementiert, dass intellektuelle Dürftigkeit und formale Uniformität die Folge sind.

Verkrampfte Formulierungen

So sieht sie nämlich aus, die Bastelanleitung, nach der die Schreibaufgaben für die Reifeprüfung aus Deutsch (und daher auch für Schularbeiten in der Sekundarstufe II) zusammengeleimt werden müssen: Erstens wähle man aus einem Kanon von sieben Textsorten eine aus. Damit bewegen wir uns noch im akzeptablen Bereich. Die Meinungsrede, der Kommentar, die Textinterpretation etc. sind geeignete Textsorten. Zweitens suche man einen Text, der sich als Ausgangsmaterial für die Schreibaufgabe eignet. Auch das ist sinnvoll.

Bis hierher wäre also die Sache auf einem guten Weg, aber plötzlich trampelt Sixtus Beckmesser auf die Bühne des Schullebens und sagt: Drittens formuliere man exakt drei Einzelanweisungen für den Schreibprozess und bediene sich dabei eines Kanons von Operatoren (das sind Verben, die Handlungsanweisungen geben, z.B. fasse zusammen, erläutere, stelle dar). Die kanonisierten Operatoren sind drei Kategorien zugeordnet (Reproduktion, Reorganisation und Reflexion). Alle drei Kategorien müssen in der Aufgabenstellung berücksichtigt werden und jede der drei Teilanweisungen darf nur einen Operator enthalten. Verboten ist es, schlichte Fragen zum Text zu stellen, auch wenn das praktisch und zielführend wäre. – Alles klar? Die Folgen solch einer Bastelanleitung sind verkrampfte Formulierungen und inhaltliche Reduktionen in der Aufgabenstellung. Die geistige Eigenleistung der Schreibenden wird ebenso beschnitten wie ihr gestalterischer Freiraum. Das Ergebnis sind biedere, einander ähnliche Texte.

Wiedergeburt der Regelpoetik

Damit aber immer noch nicht genug der Vorgaben! Die Schreibaufgabe soll auch in eine lebensnahe Schreibsituation eingebettet werden. Das mag bei Meinungsrede oder Kommentar bisweilen passend sein. Als generelle Verpflichtung taugt es aber nicht. Es soll Maturant*innen erlaubt sein, über die Angelegenheiten dieser Welt schreibend nachzudenken, ohne sich einem kommunikativen Verwertungszusammenhang zu unterwerfen.

Und wenn wir schon von „Lebensnähe“ reden! Niemand geht im wirklichen Schreibleben so vor, wie die Kandidat(inn)en bei einer schriftlichen Reifeprüfung vorgehen müssen. Weder Journalistin noch Essayistin noch politischer Redenschreiber formulieren, bevor sie ans Werk gehen, unter Verwendung eines Operatorenkanons für sich selbst drei Schreibaufgaben, die sie dann Schritt für Schritt folgsam abarbeiten.

Diese einerseits aufgeblasene, andererseits kümmerliche Schreibdidaktik ist die Wiedergeburt der Regelpoetik in zeitgeistigem Kleid. Dahinter steht jenes philisterhafte Verständnis von Schreiben, gegen das schon Lessing und der junge Goethe polemisiert haben. Auch Kleists Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ist in diesem Zusammenhang ein heißer Lektüretipp.

Das didaktische Beckmessertum, das sich in der standardisierten Deutsch-Matura selbstverwirklicht, zeigt seine Wirkungen auch im Beurteilungsraster für die Korrektur. Jede Maturaarbeit muss nach ungefähr 30 (in Worten: dreißig!) Einzelkriterien beurteilt werden. Meint man wirklich, dass man durch diese Erbsenzählerei zu einem optimalen, „gerechten“ Urteil über Texte kommt?

Eine sachdienliche und schülerorientierte Schreibdidaktik soll zwar solide „handwerkliche“ Fertigkeiten vermitteln, nicht zuletzt logisches Argumentieren und normgerechte Grammatik, sie soll aber auch individuelle Freiräume ermöglichen, für Gedankenreichtum und gestalterische Originalität. Gerade in der originellen Abweichung von der Regel kann die besondere Qualität eines Texts bestehen. Für solche Texte wird man auch in Zukunft menschliche Verfasser(inn)en brauchen, standardisierte Werkstücke hingegen können wir neidlos der künstlichen Intelligenz überlassen.


Sonntag, 21. Mai 2023

Kulturbrief 2: Klemens Renoldner liest am Dienstag im StifterHaus Linz

 

Aus meiner Rezension in den OÖN (Freitag, 19.5.23)

Klemens Renoldner erzählt in seinem lesenswerten Buch „Geschichte zweier Angeklagter“ vom Leben seines Großvaters Alois (1884-1966), der Gendarmerie-Major in der Sicherheitsdirektion Linz war. Am 13. März 1938, unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen, wurde Alois Renoldner verhaftet. Veranlasst hatte die Verhaftung Oberst Simmer, Renoldners Vorgesetzter, ein fanatischer Nationalsozialist und rücksichtsloser Karrierist.

Erst nach fünf Monaten „Schutzhaft“ und sechs Monaten KZ-Haft in Dachau kam Alois Renoldner wieder frei. Ewald Simmer wurde nach dem Ende des Dritten Reichs wegen seiner Verbrechen in der NS-Zeit angeklagt. Indem Klemens Renoldner dem Schicksal seines Großvaters den Prozess gegen Simmer gegenüberstellt, gelingt ihm ein aufschlussreicher Text über Recht und Unrecht, aus juristischer, moralischer und politischer Sicht.

Der Anfang der halbdokumentarischen „Geschichte zweier Angeklagter“ erinnert ein wenig an Franz Kafkas Roman „Der Proceß“. Ähnlich wie Josef K. muss auch Major Renoldner von jemandem verleumdet worden sein, denn er wird eines Tages verhaftet, ohne etwas Böses getan zu haben. Während aber bei Kafka der Verursacher anonym bleibt, ist hier die Sache ziemlich klar: Simmer heißt die Kanaille!

Im ersten Teil seines Buchs bedient sich Klemens Renoldner eines halbfiktionalen Erzählverfahrens, mit dem er die bedrückenden Hafterlebnisse des Großvaters in den Jahren 1938/39 eindrucksvoll veranschaulicht. Die anfängliche Hoffnung, man könne auch mit Gestapo-Männern auf der Grundlage von Rechtsnormen vernünftig reden, zerbricht bald. [...]

Im zweiten Teil des Buchs nimmt Klemens Renoldner das fiktionale Erzählverfahren zugunsten des dokumentarischen etwas zurück. Die Dokumente des Prozessverlaufs gegen Ewald Simmer bieten Anschaulichkeit und „Spannung“ genug. Simmer versucht vergeblich, sich selbst als missverstandenen NS-Gegner und eigentliches Opfer darzustellen. Im ersten Gerichtsverfahren wird er aufgrund der erdrückenden Beweislage zu vier Jahren schwerer Kerkerhaft verurteilt. Aber ein raffiniert agierender Anwalt bewirkt die Wiederaufnahme des Verfahrens, das letztlich zu einem Freispruch führt.

Klemens Renoldner: „Geschichte zweier Angeklagter“, Sonderzahl, 120 Seiten, 21 Euro

Veranstaltungshinweis: Buchpräsentation mit Klemens Renoldner, StifterHaus Linz, Dienstag, 23.5., 19.30, Moderation: Alexandra Millner

Donnerstag, 18. Mai 2023

Kulturbrief 1: "Professor Bernhardi" im Linzer Landestheater - So mag ich Klassiker-Inszenierungen

 

Gestern habe ich im Linzer Schauspielhaus Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ gesehen. 3 Stunden und 15 Minuten intensive Schauspielkunst bestärken mich wieder einmal in meinem Verständnis von Klassiker-Pflege auf der Bühne. 1. Ein Bühnentext, der die Bezeichnung „klassisch“ verdient, ist grundsätzlich nicht „verstaubt“. Wäre er das, wäre er nämlich kein Klassiker. 2. Genaues Textverständnis (im streng philologischen Sinn) ist die Voraussetzung jeder überzeugenden Regiearbeit. Bevor ein Regisseur (egal, welchen Geschlechts) seine subjektiven Intentionen einbringt, soll er/sie wissen, was die Intention des Autors/der Autorin war 3. Ein wahrlich nicht einfacher, aber gehaltvoller Text wie „Professor Bernhardi“ braucht weder eine „Überschreibung“ noch andere Brachialmethoden der „Aktualisierung“, denn 4. Das Theaterpublikum ist nicht blöd. Sonderpädagogischen Nachhilfeunterrichts durch die Regie bedarf es nicht. Wer nicht ganz naiv ist, erkennt, dass die politische Dynamik, die Bernhardi vor Gericht bringt, im Konkreten zwar historisch ist, aber strukturelle Entsprechungen im Hier und Jetzt aufweist. 5. Die heilige Dreifaltigkeit meines Glaubens an, meiner Hoffnung auf, meiner Liebe zu Klassiker-Inszenierungen: gute Schauspieler, gute Schauspieler, gute Schauspieler – egal, welchen Geschlechts (es soll halt zu den Figuren im Stück passen). Glücklicherweise gibt es die am Linzer Landestheater. Bravo und Gratulation!