Sonntag, 1. Oktober 2023

Kulturbrief 7: Was dürfen wir hoffen?

 

Das 26. Philosophicum Lech bespielte unter dem Motto „Alles wird gut“ das weite Feld zwischen Utopie und Apokalypse. Meine kleine Nachlese erschien am 30.9. in den OÖN

Am „Vorabend“, der traditionellen Auftaktveranstaltung zum Philosophicum Lech, diskutierte der Philosoph Konrad Paul Liessmann mit dem Autor Michael Köhlmeier den auf Hesiod zurückgehenden Mythos von der „Büchse der Pandora“. Laut Hesiod war Zeus erzürnt darüber, dass der selbstherrliche Titan Prometheus menschliche Wesen erschaffen hatte, und rächte sich mit einem teuflischen Geschenk.

Der Göttervater schickte die bezaubernde Pandora mit einer Büchse zu den Menschen, in die er sämtliche Übel gepackt hatte, von Krankheiten und Leiden über Laster bis hin zur Sterblichkeit. Epimetheus, der dümmere Bruder des Prometheus, fiel auf Pandora herein und ließ die Büchse öffnen. Erst als alle Übel entwichen waren, schloss er sie wieder. Pandoras Büchse war aber noch nicht leer. Ganz unten wäre noch die Hoffnung gelegen – und so wurde die Erde für den Menschen nicht nur zu einem üblen, sondern auch zu einem hoffnungslosen Ort.

Der von Liessmann gerne zitierte Philosoph Friedrich Nietzsche bot allerdings eine alternative Interpretation des Missgeschicks an: Die Hoffnung ist sehr wohl auch entwichen, erweist sich aber als das größte aller Übel, weil sie den Menschen zu Illusionen über sein jämmerliches Dasein verführt. Diese spannungsreiche Ambivalenz bestimmte nicht nur den Untertitel des 26. Philosophicums Lech („Zur Dialektik der Hoffnung“), sie zog sich als roter Faden durch die Vorträge der Referentinnen und Referenten, die nicht nur aus dem Fachbereich Philosophie kamen und so die interdisziplinäre Weite des Themas repräsentierten.

Immanuel Kant stellte die Frage „Was dürfen wir hoffen?“ noch im religiösen Kontext der Metaphysik, weil sie über den Tod hinausweist. Dass sich die Frage nach göttlicher Transzendenz auch in unserer säkularisierten Gesellschaft nicht völlig erledigt hat, zeigte sich in den Referaten des Berliner Theologen Hartmut von Sass und des Grazer Philosophen Peter Strasser. Von Sass unterscheidet zwischen der konkreten Hoffnung auf etwas, zum Beispiel auf einen beruflichen Erfolg, und der Hoffnung als Grundstimmung. Wer grundsätzlich „hoffnungsvoll lebt“, begegnet der Welt und den Menschen anders als der Hoffnungslose. Hoffnung definiert von Sass als „Sinn für die Möglichkeit des Guten“, verbunden mit einem Grundvertrauen in die Gestaltungskraft des Menschen, gerade auch unter ungünstigen Bedingungen.

Säkulare Staats- und Sozialutopien sind ein starker Vertrauensbeweis in diese menschliche Gestaltungskraft. In Ernst Blochs Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“, das die Kulturwissenschaftlerin Francesca Vidal ins Zentrum ihres Referats stellte, sind Tagtraum und Hoffnung die elementare Kraft hinter unseren utopischen Anstrengungen. Dass diese selbstbewusste Haltung zur Welt auch auf verhängnisvollen Irrtümern beruhen und zu inhumaner politischer Praxis führen kann, zeigt die Geschichte des radikalen Sozialismus. Der undogmatische Marxist Ernst Bloch verließ die DDR 1961, kurz nach dem Mauerbau.

Große gesellschaftspolitische Hoffnungskonzepte haben – ähnlich wie religiöse Heilsbotschaften – im mehr oder weniger aufgeklärten Westen ihre Anziehungskraft verloren. Die Hoffnung, dass vielleicht nicht alles, aber doch so manches gut werden könnte, stützt sich heute eher auf den technologischen und naturwissenschaftlichen Fortschritt. Die menschliche Hoffnung auf Unsterblichkeit wird, wie die Biochemikerin Renée Schroeder humorvoll ausführte, vom Jenseits ins Diesseits verlagert. Ob die Vorstellung, durch biochemische Intervention das Leben des Menschen auf 500 Jahre zu verlängern, tatsächlich wünschenswert ist, bleibt allerdings umstritten; ebenso wie die von der Philosophin Catrin Misselhorn relativierte Hoffnung, eine zur Superintelligenz weiterentwickelte Künstliche Intelligenz werde für uns alle Probleme lösen, die wir selbst verursacht haben, zum Beispiel den Klimawandel.

Es war nicht überraschend, dass die Dialektik von Hoffnung und apokalyptischer Furcht mehrmals am Öko-Thema diskutiert wurde, wobei sich relativer Pessimismus (vertreten durch den Soziologen Harald Welzer) und vorsichtiger Optimismus (vertreten durch den Ökonomen Fred Luks) in etwa die Waage hielten. Einigkeit bestand darüber, dass die Zukunft grundsätzlich offen und Hoffnung realistisch ist, solange Möglichkeiten des Handelns erkennbar sind. Und manchmal kann es angebracht sein, das erkennbar Sinnvolle zu tun, auch dann, wenn die Erfolgsaussichten mager sind.

Mit dieser Ermunterung ging das 26. Philosophicum Lech zu Ende. Es war wie immer professional organisiert und bot mehr als 600 denkwilligen Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe an einem anspruchsvollen, aber auch heiteren philosophischen Diskurs. Für das 27. Philosophicum (17.-22.9.2024) hat Konrad Paul Liessmann die bekannte Schweizer Philosophin Barbara Bleisch als Co-Intendantin ins Leitungsteam geholt. Das Thema: „Sand im Getriebe. Eine Philosophie der Störung“.