Für seinen Krimi „Silentium!“ ließ sich Wolf Haas einen
schrägen Salzburger Kulturzirkel einfallen. Vereinsmotto: Alles für den Hugo! Die
doppeldeutige Anspielung bezieht sich natürlich auf Hugo von Hofmannsthal,
dessen Geburtstag sich am 1.Februar zum 150. Mal jährt.
Der erste „Edle von Hofmannsthal“ war Hugos jüdischer
Urgroßvater, der durch Seidenraupenzucht nicht nur ein reicher Mann, sondern
auch ein Aristokrat wurde. Der Sohn des ersten Edlen war mit dem lombardischen
Zweig des Familienunternehmens erfolgreich und konvertierte zur katholischen
Religion. Hugos Vater war Direktor der Wiener Central-Boden-Creditanstalt, die
Mutter Tochter eines Richters. Kurzum, Hugo Hofmannsthal hat einen nahezu idealtypischen
bildungsbürgerlich-aristokratischen Familienhintergrund.
Bildung wird bekanntlich vererbt. Der hochbegabte Knabe
besuchte in Wien das Akademische Gymnasium und veröffentlichte unter dem
Pseudonym Loris schon als Siebzehnjähriger erste Gedichte von erstaunlicher
Qualität. Nach der Matura verlief Hofmannsthals Bildungsweg nicht mehr ganz so
geradlinig. Jus studierte er nur bis zum ersten Staatsexamen, nach einem
Freiwilligenjahr in einem Dragonerregiment wechselte er zur Romanistik. 1898
promovierte er, die geplante Habilitationsschrift über Victor Hugo stellte er
aber nicht fertig.
Dafür hörte er Vorlesungen beim Physiker und Philosophen
Ernst Mach, dessen Erkenntnistheorie die Literatur und Kunst des
Impressionismus beeinflusste. Hugo von Hofmannsthals poetisches Frühwerk trägt wesentliche
Merkmale dieser Stilrichtung. In seinen formvollendeten Gedichten fand er
außergewöhnliche Sprachbilder für Gedanken, atmosphärische Eindrücke und
Stimmungslagen, zum Beispiel so: „Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
/ Und viel zu grauenvoll, als daß man klage: / Daß alles gleitet und
vorüberrinnt. / Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt, / Herüberglitt
aus einem kleinen Kind / Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.“
(Terzinen über Vergänglichkeit)
Worte zerfallen wie
modrige Pilze
In den lyrischen Kurzdramen der Neunzigerjahre („Der Tod des
Tizian“, „Der Tor und der Tod“) geht es hauptsächlich um die Kunst und das
Schöne, aber auch um Vergänglichkeit, Verfall und Tod, Motive, die Hofmannsthal
bis zum eigenen Tod (1929) begleiteten. Der künstlerische Rang der frühen Werke
öffnete Hofmannsthal schon bald den Zugang zu den Zirkeln der Wiener Moderne.
Freundschaftliche Beziehungen unterhielt er unter anderem zu Arthur Schnitzler
und Hermann Bahr. Der deutsche Lyriker Stefan George war – nicht nur aus
künstlerischen Gründen – vom jungen Genie fasziniert. Auf Dauer wurde Georges
eindringliches Werben für den Umworbenen, der seit 1901 verheiratet war, zur
aufdringlichen Qual. 1906 zerbrach die Freundschaft endgültig.
Rund um die Jahrhundertwende kam es bei Hugo von
Hofmannsthal zu einem folgenreichen Wandel der Weltsicht und der
Kunstauffassung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Nicht zuletzt hatte er bei
militärischen Manövern in Ostgalizien das materielle und moralische Elend der
Bevölkerung kennengelernt. Der elitäre Ästhetizismus seiner Jugendjahre wurde
ihm in solcher Umgebung fremd. Wie man an den Erzählungen und Essays aus dieser
Zeit erkennen kann, weitete sich Hofmannsthals sozialer und philosophischer
Horizont.
Ein in der Literaturwissenschaft viel beachteter Text aus
dem Jahr 1902 trägt den Titel „Ein Brief“. Der fiktive Briefschreiber Lord
Chandos erklärt darin seinem väterlichen Mentor Francis Bacon, warum er seinen eigenen
literarischen Jugendwerken nicht mehr viel abgewinnen kann, ja mehr noch, warum
er an der Sprache grundsätzlich zweifelt. „Die abstrakten Worte zerfielen mir
im Munde wie modrige Pilze“, lautet ein oft zitierter Satz. Lord Chandos mag
zwar auch Sprachrohr des Autors sein, von einer generellen Schaffenskrise kann
man aber im Fall von Hofmannsthal nicht sprechen.
Schon bald begann nämlich die dauerhafte, fruchtbare
Zusammenarbeit mit Max Reinhardt und Richard Strauss. Hofmannsthal beschäftigte
sich intensiv mit Mythologie und Dramatik der griechischen Antike und
verknüpfte die klassische Tradition mit neueren Erkenntnissen der freudschen
Psychoanalyse. Eigene Versuche mit „großen“, also mehraktigen Dramen verliefen
zwar nicht besonders erfolgreich, umso eindrucksvoller bewährte sich Hugo von
Hofmannsthal als Librettist für Richard Strauss, mit dem er auch einen
intensiven Briefverkehr führte. „Text und Musik“, schrieb er, müssten
zueinander passen „wie Hand und Handschuh“. 1909 wurde „Elektra“ uraufgeführt,
1911 „Der Rosenkavalier“, 1912 „Ariadne auf Naxos“.
Fronterlebnis im
Kriegsfürsorgeamt
Zwei Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus. Gegen die absurde
Kriegsbegeisterung der Massen war auch Hofmannsthal nicht immun. Dass er seine
„Kampfbereitschaft“ für Kaiser und Vaterland nicht als Offizier an der Front,
sondern als kulturpolitischer Mitarbeiter im Kriegsfürsorgeamt auslebte,
brachte ihm den berechtigten Spott des kriegskritischen Kollegen Karl Kraus
ein. Hofmannsthal war zwar nicht blind gegenüber den Problem- und
Schwachstellen der Habsburgermonarchie, grundsätzlich war er aber
gesellschaftspolitisch konservativ und blieb auch nach 1918 monarchistisch
gesinnt. Mit seinen kulturpolitischen Aufsätzen geriet er in die geistige Nähe
zu jener „Konservativen Revolution“, die sich Erneuerung nur als Rückgriff auf
alte Größe vorstellen konnte.
Das gilt auch für einige kontrovers aufgenommene Aufsätze,
die Hofmannsthal zur Gründung der Salzburger Festspiele (1920) beisteuerte. Es
gab auch Zweifel, ob die soeben unter heftigen Geburtswehen startende republikanische
Epoche ausgerechnet den kulturellen Rückgriff auf das geistliche Mysterienspiel
des Mittelalters brauchte. Aber aller Skepsis zum Trotz behauptet sich Hugo von
Hofmannsthals berühmtestes Stück, der „Jedermann“, bei den Salzburger
Festspielen seit mehr als 100 Jahren. Es hat viele Neuinterpretationen
überstanden, auch die allzu kühnen, und dass Rollen wie die Buhlschaft oder die
des Titelhelden bei der Bühnenprominenz immer noch heiß begehrt sind, haben wir
beim Besetzungsdrama des Vorjahrs erlebt.
Vergleichsweise erfolglos blieb Hugo von Hofmannsthal mit
seinem kulturphilosophischen Vermächtnis, dem oft umgearbeiteten Königsdrama
„Der Turm“ (letzte Fassung 1928). Dass er seinen konservativen Grant über Werteverfall
und Modernisierungsgeschwätz nicht nur im tragischen Ton, sondern auch mit
feiner ironischer Klinge präsentieren konnte, bewies Hofmannsthal mit dem Lustspiel
„Der Schwierige“ (1921). Die Hauptfigur Hans Karl Bühl, in gewisser Weise ein
Selbstporträt des Autors, hat nicht nur mit dem vermeintlichen „Fortschritt“
seine Probleme, sondern auch mit einer intellektuell leichtgewichtigen
Verwandtschaft. Und am Ende siegt die Liebe, was wir ihr herzlich gönnen!
Ältere Theaterfreunde erinnern sich vielleicht noch an
wunderbare Inszenierungen des „Schwierigen“ mit Wiener Bühnengrößen wie Susanne
Almassy und Wolfgang Gasser. Nur dieser spezielle Wiener Sound und dieses
Gespür für atmosphärische Zwischentöne bringen das Potential dieses fein
gearbeiteten Dramas zu voller Entfaltung. Vielleicht ist es gut, dass „Der
Schwierige“ heute nur mehr selten gespielt wird. Vor dem selbstgefällig
„heutigen“ Zugriff sogenannter „postdramatischer“ Inszenierungskunst auf diese kulturhistorische
Kostbarkeit fürchten wir uns zurecht. Das wäre wahrscheinlich wirklich für den
Hugo!
Erschienen in: OÖN 27.1.24
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