Samstag, 3. Februar 2024

Kulturbrief 12: Alles für den Hugo?

 

Für seinen Krimi „Silentium!“ ließ sich Wolf Haas einen schrägen Salzburger Kulturzirkel einfallen. Vereinsmotto: Alles für den Hugo! Die doppeldeutige Anspielung bezieht sich natürlich auf Hugo von Hofmannsthal, dessen Geburtstag sich am 1.Februar zum 150. Mal jährt.

Der erste „Edle von Hofmannsthal“ war Hugos jüdischer Urgroßvater, der durch Seidenraupenzucht nicht nur ein reicher Mann, sondern auch ein Aristokrat wurde. Der Sohn des ersten Edlen war mit dem lombardischen Zweig des Familienunternehmens erfolgreich und konvertierte zur katholischen Religion. Hugos Vater war Direktor der Wiener Central-Boden-Creditanstalt, die Mutter Tochter eines Richters. Kurzum, Hugo Hofmannsthal hat einen nahezu idealtypischen bildungsbürgerlich-aristokratischen Familienhintergrund.

Bildung wird bekanntlich vererbt. Der hochbegabte Knabe besuchte in Wien das Akademische Gymnasium und veröffentlichte unter dem Pseudonym Loris schon als Siebzehnjähriger erste Gedichte von erstaunlicher Qualität. Nach der Matura verlief Hofmannsthals Bildungsweg nicht mehr ganz so geradlinig. Jus studierte er nur bis zum ersten Staatsexamen, nach einem Freiwilligenjahr in einem Dragonerregiment wechselte er zur Romanistik. 1898 promovierte er, die geplante Habilitationsschrift über Victor Hugo stellte er aber nicht fertig.

Dafür hörte er Vorlesungen beim Physiker und Philosophen Ernst Mach, dessen Erkenntnistheorie die Literatur und Kunst des Impressionismus beeinflusste. Hugo von Hofmannsthals poetisches Frühwerk trägt wesentliche Merkmale dieser Stilrichtung. In seinen formvollendeten Gedichten fand er außergewöhnliche Sprachbilder für Gedanken, atmosphärische Eindrücke und Stimmungslagen, zum Beispiel so: „Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt, / Und viel zu grauenvoll, als daß man klage: / Daß alles gleitet und vorüberrinnt. / Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt, / Herüberglitt aus einem kleinen Kind / Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.“ (Terzinen über Vergänglichkeit)

Worte zerfallen wie modrige Pilze

In den lyrischen Kurzdramen der Neunzigerjahre („Der Tod des Tizian“, „Der Tor und der Tod“) geht es hauptsächlich um die Kunst und das Schöne, aber auch um Vergänglichkeit, Verfall und Tod, Motive, die Hofmannsthal bis zum eigenen Tod (1929) begleiteten. Der künstlerische Rang der frühen Werke öffnete Hofmannsthal schon bald den Zugang zu den Zirkeln der Wiener Moderne. Freundschaftliche Beziehungen unterhielt er unter anderem zu Arthur Schnitzler und Hermann Bahr. Der deutsche Lyriker Stefan George war – nicht nur aus künstlerischen Gründen – vom jungen Genie fasziniert. Auf Dauer wurde Georges eindringliches Werben für den Umworbenen, der seit 1901 verheiratet war, zur aufdringlichen Qual. 1906 zerbrach die Freundschaft endgültig.

Rund um die Jahrhundertwende kam es bei Hugo von Hofmannsthal zu einem folgenreichen Wandel der Weltsicht und der Kunstauffassung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Nicht zuletzt hatte er bei militärischen Manövern in Ostgalizien das materielle und moralische Elend der Bevölkerung kennengelernt. Der elitäre Ästhetizismus seiner Jugendjahre wurde ihm in solcher Umgebung fremd. Wie man an den Erzählungen und Essays aus dieser Zeit erkennen kann, weitete sich Hofmannsthals sozialer und philosophischer Horizont.

Ein in der Literaturwissenschaft viel beachteter Text aus dem Jahr 1902 trägt den Titel „Ein Brief“. Der fiktive Briefschreiber Lord Chandos erklärt darin seinem väterlichen Mentor Francis Bacon, warum er seinen eigenen literarischen Jugendwerken nicht mehr viel abgewinnen kann, ja mehr noch, warum er an der Sprache grundsätzlich zweifelt. „Die abstrakten Worte zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze“, lautet ein oft zitierter Satz. Lord Chandos mag zwar auch Sprachrohr des Autors sein, von einer generellen Schaffenskrise kann man aber im Fall von Hofmannsthal nicht sprechen.

Schon bald begann nämlich die dauerhafte, fruchtbare Zusammenarbeit mit Max Reinhardt und Richard Strauss. Hofmannsthal beschäftigte sich intensiv mit Mythologie und Dramatik der griechischen Antike und verknüpfte die klassische Tradition mit neueren Erkenntnissen der freudschen Psychoanalyse. Eigene Versuche mit „großen“, also mehraktigen Dramen verliefen zwar nicht besonders erfolgreich, umso eindrucksvoller bewährte sich Hugo von Hofmannsthal als Librettist für Richard Strauss, mit dem er auch einen intensiven Briefverkehr führte. „Text und Musik“, schrieb er, müssten zueinander passen „wie Hand und Handschuh“. 1909 wurde „Elektra“ uraufgeführt, 1911 „Der Rosenkavalier“, 1912 „Ariadne auf Naxos“.

Fronterlebnis im Kriegsfürsorgeamt

Zwei Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus. Gegen die absurde Kriegsbegeisterung der Massen war auch Hofmannsthal nicht immun. Dass er seine „Kampfbereitschaft“ für Kaiser und Vaterland nicht als Offizier an der Front, sondern als kulturpolitischer Mitarbeiter im Kriegsfürsorgeamt auslebte, brachte ihm den berechtigten Spott des kriegskritischen Kollegen Karl Kraus ein. Hofmannsthal war zwar nicht blind gegenüber den Problem- und Schwachstellen der Habsburgermonarchie, grundsätzlich war er aber gesellschaftspolitisch konservativ und blieb auch nach 1918 monarchistisch gesinnt. Mit seinen kulturpolitischen Aufsätzen geriet er in die geistige Nähe zu jener „Konservativen Revolution“, die sich Erneuerung nur als Rückgriff auf alte Größe vorstellen konnte.

Das gilt auch für einige kontrovers aufgenommene Aufsätze, die Hofmannsthal zur Gründung der Salzburger Festspiele (1920) beisteuerte. Es gab auch Zweifel, ob die soeben unter heftigen Geburtswehen startende republikanische Epoche ausgerechnet den kulturellen Rückgriff auf das geistliche Mysterienspiel des Mittelalters brauchte. Aber aller Skepsis zum Trotz behauptet sich Hugo von Hofmannsthals berühmtestes Stück, der „Jedermann“, bei den Salzburger Festspielen seit mehr als 100 Jahren. Es hat viele Neuinterpretationen überstanden, auch die allzu kühnen, und dass Rollen wie die Buhlschaft oder die des Titelhelden bei der Bühnenprominenz immer noch heiß begehrt sind, haben wir beim Besetzungsdrama des Vorjahrs erlebt.

Vergleichsweise erfolglos blieb Hugo von Hofmannsthal mit seinem kulturphilosophischen Vermächtnis, dem oft umgearbeiteten Königsdrama „Der Turm“ (letzte Fassung 1928). Dass er seinen konservativen Grant über Werteverfall und Modernisierungsgeschwätz nicht nur im tragischen Ton, sondern auch mit feiner ironischer Klinge präsentieren konnte, bewies Hofmannsthal mit dem Lustspiel „Der Schwierige“ (1921). Die Hauptfigur Hans Karl Bühl, in gewisser Weise ein Selbstporträt des Autors, hat nicht nur mit dem vermeintlichen „Fortschritt“ seine Probleme, sondern auch mit einer intellektuell leichtgewichtigen Verwandtschaft. Und am Ende siegt die Liebe, was wir ihr herzlich gönnen!

Ältere Theaterfreunde erinnern sich vielleicht noch an wunderbare Inszenierungen des „Schwierigen“ mit Wiener Bühnengrößen wie Susanne Almassy und Wolfgang Gasser. Nur dieser spezielle Wiener Sound und dieses Gespür für atmosphärische Zwischentöne bringen das Potential dieses fein gearbeiteten Dramas zu voller Entfaltung. Vielleicht ist es gut, dass „Der Schwierige“ heute nur mehr selten gespielt wird. Vor dem selbstgefällig „heutigen“ Zugriff sogenannter „postdramatischer“ Inszenierungskunst auf diese kulturhistorische Kostbarkeit fürchten wir uns zurecht. Das wäre wahrscheinlich wirklich für den Hugo!

Erschienen in: OÖN 27.1.24

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