Unter dem Titel "Jeder Ort hat sein Geheimnis und seine Geschichte" erschien am 23. März meine OÖN-Rezension zum neuen Buch von Karl-Markus Gauß.
In der Nähe der albanischen Gemeinde Roskovec steht auf
einem Hügel ein wuchtiges Schiff aus Stein. Gebaut wurde es in den
Neunzigerjahren, gedacht war es als Hotel, es wurde aber nie eröffnet. Drei
Brüder aus der Familie, die den seltsamen Bau errichten ließ, hatten im
albanischen Hafen Vlora ein Flüchtlingsschiff bestiegen, das aber nie im
italienischen Zielort ankam. Mit dem steinernen Schiff sollte den Toten ein
Denkmal gesetzt werden.
Das ist der Inhalt der Titelgeschichte von Karl-Markus Gauß‘
neuem Buch „Schiff aus Stein. Orte und Träume“. Wie so oft erzählt der
Salzburger Autor von Orten, die ihm Geschichten erzählen, nicht immer
spektakuläre, denn für Gauß gibt es „keinen Ort, der es nicht wert wäre,
durchwandert und erkundet zu werden, weil ein jeder sein Geheimnis und seine
Geschichte hat.“ Immer wieder zieht es den Reisenden nach Südosteuropa. Er
erzählt aber auch vom Selbstbehauptungswillen der Litauer, die ihre Sprache
gegen die imperialen Dampfwalzen aus Deutschland und Russland verteidigt haben,
und er erzählt vom Stift Schlägl, wo er noch dem Orgelspiel des 2016 verstorbenen
Musikers Ruprecht Gottfried Frieberger lauschte.
Ob man von „andächtigem“ Lauschen sprechen kann, mag offen
bleiben. Gauß verwendet zur Selbstbenennung das Oxymoron „glaubensstrenger
katholischer Atheist“, verschweigt aber nicht seine Bewunderung für die
Schönheit einer schwarzen Madonna in einer litauischen Renaissancekapelle und
den „Schmerz“ des Bewunderers, der „in die Frömmigkeit nicht zurückfinden
kann.“ Als er sich gemeinsam mit vielen anderen Trauernden in der
Wallfahrtskirche von Attersee für immer vom Schriftsteller Hans Eichhorn
verabschiedet, ist er dankbar für das „bewährte Ritual“, das die Kirche anbietet.
Auch über den Leser Karl-Markus Gauß erfahren wir in „Schiff
aus Stein“ so manches Erhellende, zum Beispiel über die „Anna Karenina“-Lektüre
des Sechzehnjährigen und über jenen Zustand des Lesenden, in dem er so ganz „in
einer anderen Welt und zugleich bei sich selbst ist“. Aus Gauß‘ sensiblen
Impressionen spricht die genaue, aber nie indezente Menschenbeobachtung, dort
und da ironisch, aber zurückhaltend im Urteil. Er beobachtet eine in die
Buchstabenwelt versunkene Leserin im Bus, eine gealterte Hippie-Frau in Vilnius,
einen Spaghetti essenden Kaffeehausbesucher und andere mehr.
Auch die sogenannten „letzten Dinge“ drängen sich bisweilen in diese literarischen Miniaturen: Friedhöfe, verblassende Erinnerungen und die mit dem Alter zunehmende Anfälligkeit für Krankheiten. Karl-Markus Gauß wird im Mai seinen Siebziger feiern. Dennoch dominieren helle Tonlagen, Schönheit und Humanität – kraftvoll akzentuiert durch die Buch-Widmung: Sie gilt der vor wenigen Monaten geborenen Enkeltochter Amalia Sophie.
Karl-Markus Gauß: „Schiff aus Stein. Orte und Träume“,
Zsolnay, 143 Seiten, 23,70 Euro
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