In Die Furche 46 (14.11.24) ist mein Gastkommentar erschienen:
Der Schriftsteller und Ex-Lehrer Thomas Raab hat in „Die
Presse“ (6.11.24) einen Gastkommentar veröffentlicht, dem eine nachsichtige
Redaktion das Prädikat „Nachwahlanalyse“ zugestanden hat. Um eine „Analyse“
handelt es sich eigentlich nicht, sondern eher um expressive Rollenprosa mit
dem filmreifen Titel „Aufschrei einer Verdammten“. Die Verdammte, die Raab mit
großem rhetorischem Aufwand schreien lässt, ist die Schule, und ihr Schrei nährt
sich aus Wut, Schmerz und Verbitterung. Der Grund dafür ist die schwere
Vernachlässigung, die sie erdulden muss. Wer genau die „elenden Heuchler“ sind,
die Österreichs Schulen „sehenden Auges verrecken lassen“, erschließt sich zwar
nicht, es darf aber vermutet werden, dass vorrangig politische
Verantwortungsträger/-innen adressiert werden.
An düsteren Szenarien einer „Bildungskatastrophe“ mangelt es
hierzulande nicht. Sobald ein soziales, ökonomisches, ökologisches oder
moralisches Problemfeld erkennbar wird, rufen empörte „Bildungsexperten“ aus
allen Bedeutungsetagen: „Da ist doch in der Schule etwas schiefgelaufen!“ Der
jüngste Anlassfall ist eine Serie unerwünschter Wahlsiege: AfD in Deutschland,
FPÖ in Österreich, jetzt auch noch Trump in den USA. Das Volk, „der große
Lümmel“ (Heine), hat falsch gewählt und Thomas Raab ist nicht der Einzige, der
auf Wahlerfolge des rechten Rands mit dem Verdacht reagiert, eine überforderte
Schule habe ihre politischen Hausaufgaben nicht erledigt. Sonst hätten
zumindest die Jungen „richtiger“ gewählt. Hinter diesem Verdacht steht eine
Vorstellungswelt, die ich - in konservativer Schultradition - zur Prüfung
aufrufen möchte.
Verstärkter Fokus auf politische Bildung
Zweifellos ist es eine (auch gesetzlich vorgegebene) Aufgabe
der Schule, junge Menschen zu mündigen Staatsbürger/-innen zu erziehen, die
sich mit der parlamentarischen Demokratie und dem Rechtsstaat identifizieren
und nicht mit autoritären und totalitären Systemalternativen, seien es faschistische,
kommunistische oder religiös-fundamentalistische. Historische Kenntnisse darüber,
wohin autoritäre Wege führen, können dazu beitragen, irrationale Hoffnungen auf
vermeintlich gerechtere, glücklichere oder gottgefälligere Verhältnisse zu
dekonstruieren. Nützlich ist auch die Einsicht in Strategien politischer
Rhetorik und in demokratische Machtstrukturen.
Das alles kann und soll Schule leisten, und ich behaupte,
dass dieser Art politischer Bildung in der jüngeren Vergangenheit weitaus mehr pädagogische
Aufmerksamkeit gewidmet wurde als in den ersten Jahrzehnten der Zweiten
Republik, durch Lehrplaninhalte, durch ein offenes Kommunikationsklima und auch
dadurch, dass Schüler/-innen in Mitsprachegremien Demokratie üben können. Natürlich
gibt es immer Luft nach oben, aber die so oft und oft so pathetisch
vorgetragene Kritik, die Schule versage als politischer Sozialisationsraum, beruht
auf Denkfehlern jener Kritiker/-innen, die sich andere Wahlergebnisse wünschen.
Wir können Schüler/-innen politische Bildungsangebote
machen, wir dürfen sie aber – gerade im Sinne eines
demokratisch-pluralistischen Freiheitsbegriffs – nicht zu einem Wahlverhalten
abrichten, das bestimmte politische Lager von vornherein präferiert und andere
diffamiert, solange diese legal innerhalb des Verfassungsbogens agieren. Weltanschauliches
Patronanzgehabe war und ist das schulpolitische Kennzeichen jener autoritären
Systeme, die wir aus gutem Grund ablehnen. Daher ist es unangebracht, vom
„Versagen“ der Schule zu reden, sobald sich ein relevanter Prozentsatz der
Jungwähler/-innen für die FPÖ entscheidet. Mich ärgert es ja auch, aber so geht
Freiheit nun einmal.
Über systembedingte Problemstellen sollen wir natürlich
diskutieren, aber bitte konkret und mit Augenmaß für das Machbare. Nur eine kleine
Minderheit der Zwölf- bis Fünfzehnjährigen zeigt überhaupt Interesse an
Politik. Da bei uns die Schulpflicht mit der neunten Schulstufe endet, findet für
Schulabgänger politische Bildung gerade in dem Alter nicht mehr statt, in dem
sich das Interesse an Staat und Politik so nach und nach entwickelt. Vielleicht
könnte die Berufsschule hier mehr tun. Ich würde die Erwartungen allerdings
nicht allzu hoch ansetzen. In den USA gibt es Schulpflicht bis sechzehn, in
manchen Bundesstaaten auch länger. Es wäre mir neu, dass die amerikanische
Jugend ein leuchtendes Vorbild politischer Bewusstheit abgäbe.
Auf verlorenem Posten
Und damit sind wir bei einem weiteren Kernpunkt: Die Schule
ist nicht der einzige politische Sozialisationsraum, wahrscheinlich nicht
einmal der wirkungsmächtigste. Daneben gibt es das Elternhaus, Freundinnen und
Freunde und vor allem – als junges Phänomen – soziale Medien, deren Einfluss
auf die Werthaltungen junger Menschen enorm ist. Ich sage nicht, dass die
Schule in Sachen Demokratieerziehung auf verlorenem Posten steht, aber die
Grenzen ihrer Wirkungsmöglichkeiten müssen wir nüchtern zur Kenntnis nehmen. Vom
allzu schlichten Generalbefund „Da hat die Schule versagt“ sollten wir uns angesichts
unerwünschter Wahlergebnisse jedenfalls verabschieden – ebenso wie vom Mythos,
Jugend stünde per se für „das Gute“ (was immer das sein mag!) und jede
Abweichung könne nur die Folge von Bildungslücken und Erziehungsfehlern sein.
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