Arthur Schnitzler: Liebelei

I. DIE SPIELHANDLUNG

1.Akt

Der erste Akt spielt in der Wohnung von Fritz. Er und sein Freund Theodor – sie kommen gerade von einem kleinen Ausflug ins Grüne zurück - sind typische „junge Herrn“, Studenten aus der bürgerlichen Wiener Oberschicht. Der Lebensstil ist ihrer Herkunft angemessen. Im Wagen gefahren zu werden gehört ebenso dazu wie die Anwesenheit eines Dieners in Fritz` Wohnung.
   Fritz ist nervös. Sorgenvoll schaut er nach der Post. Die Affäre mit einer verheirateten Frau, die er seit einiger Zeit pflegt, könnte jederzeit entdeckt werden. Theodor ärgert sich über diese Affäre und macht dafür Fritz` unverständliche Neigung zu so genannten „dämonischen“, „interessanten“ Frauen verantwortlich. Damit handelt man sich laut Theodor nur Probleme ein Er stellt Fritz` Liebestragödien sein eigenes Lebensmodell gegenüber:

THEODOR: (...) Erholen! Das ist der tiefere Sinn. Zum Erholen sind sie (die Frauen, Anm.) da. Drum bin ich auch immer gegen die sogenannten interessanten Weiber. Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern angenehm. Du mußt dein Glück suchen, wo ich es bisher gesucht und gefunden habe, dort, wo es keine großen Szenen, keine Gefahren, keine tragischen Verwicklungen gibt, wo der Beginn keine besonderen Schwierigkeiten und das Ende keine Qualen hat, wo man lächelnd den ersten Kuß empfängt und mit sehr sanfter Rührung scheidet.

Um Fritz von seinen Unannehmlichkeiten abzulenken, hat Theodor als Überraschung seine „erholsame“ Frauenbekanntschaft Mizi und deren Freundin Christine eingeladen. Ein heiterer Abend in Gegenwart von zwei „süßen Mädeln“ soll Fritz aufheitern. Aufgrund der nun folgenden Dialoge wird bereits erkennbar, dass Mizi und Christine durchaus unterschiedlich sind. Mizi repräsentiert genau jenen Typus des „angenehmen Weibes“, den Theodor zu schätzen weiß, heiter und gesellig, gleichzeitig erotisch und zärtlich, ohne die Liebe allzu ernst zu nehmen. Christine hingegen wirkt ernsthafter, dadurch auch verletzbarer. Offen spricht sie von ihrer ständigen Sehnsucht nach Fritz. Sie fragt ihn eifersüchtig, wer denn die Dame im schwarzen Samtkleid gewesen sei, mit der sie ihn kürzlich im Theater gesehen hat, und Fritz` Bemerkung, es sei möglich, dass er einmal für ein paar Tage verreise, macht sie unglücklich. Was für Fritz Liebelei ist, das ist für Christine Liebe im ernsthaftesten Sinn des Wortes:
CHRISTINE: Ich hab dich lieb.
FRITZ: Ich hab dich doch auch sehr lieb.
CHRISTINE: Du bist aber mein Alles, Fritz, für dich könnt` ich... Nein, ich kann mir nicht denken, daß je eine Stunde käm`, wo ich dich nicht sehen wollte. Solang ich leb`, Fritz –
FRITZ: (unterbricht) Kind, ich bitt dich... so was sag lieber nicht...die großen Worte, die hab ich nicht gern. Von der Ewigkeit reden wir nicht...

Die fröhliche, entspannte Stimmung, die während des Abendessens aufkommt, wird plötzlich gestört, als jemand an der Tür läutet. Fritz erschrickt, schaut nach und sieht sich einem „Herrn“ gegenüber, dem Gatten jener „dämonischen“ Frau, mit der er ein Verhältnis hat. Christine, Theodor und Mizi verschwinden in einem Nebenzimmer. Fritz‘ Befürchtungen bewahrheiten sich: Die Affäre ist aufgeflogen, der Gatte fordert – den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend - Fritz zum Duell; und Fritz nimmt die Herausforderung an.
   Theodor wird nun heimlich über alles informiert, die beiden Mädchen werden aber im Unklaren gelassen. In vordergründiger, gespielter Heiterkeit geht der Abend zu Ende.

2.Akt

Der 2.Akt spielt in der Wohnung, in der Christine mit ihrem Vater, dem Musiker Hans Weiring, lebt. Katharina Binder, eine Nachbarin, lädt Christine ein, mit ihr, ihrem Mann und einem nahen Verwandten, der Christine verehrt, ein Freiluftkonzert zu besuchen. Christine lehnt ab und wird von Frau Binder recht deutlich darauf hingewiesen, dass man in der Nachbarschaft bereits über ihre Beziehung mit einem eleganten jungen Herrn redet. Derlei Beziehungen, so Frau Binder, können nicht gut ausgehen.
   Hans Weiring kommt nach Hause und Christine verlässt die Wohnung, um sich mit Mizi zu treffen. Das Thema, das Frau Binder bereits mit Christine selbst angeschnitten hat, führt sie im folgenden Dialog mit Weiring weiter. Frau Binder warnt Weiring nicht nur vor Christines Freundschaft mit Mizi, sondern auch vor Christines Männerbekanntschaften. Katharina Binder spricht offensichtlich vor dem Hintergrund eigener, desillusionierender  Jugenderfahrungen: „Auf einen Grafen kann man ja doch nicht warten, und wenn einmal einer kommt, so empfiehlt er sich dann gewöhnlich, ohne daß er einen geheiratet hat (...) Deswegen sag ich auch immer, man kann bei einem jungen Mädel nicht vorsichtig genug sein – besonders mit dem Umgang (...)“. Weiring hat dazu eine andere Sichtweise. Er selbst hat nach dem Tod seiner Eltern seine jüngere Schwester besonders gut behütet vor allen „Gefahren“ – damit aber auch vor allem Glück, denn eines Tages ist aus dem hübschen jungen Mädchen ein einsames „altes Fräulein“ geworden. Mittlerweile ist die Schwester bereits gestorben. Hans Weiring betrachtet im Rückblick sein Schutzverhalten als einen Fehler, den er keinesfalls wiederholen möchte. Christine soll nicht das Schicksal ihrer Tante teilen, soll nicht vor allen Gefahren geschützt werden - und dadurch die Chance auf ihr Glück verlieren.
   Christine ist beunruhigt. Fritz ist nicht zum Rendezvous erschienen. Mizi wirft Christine vor, sie verwöhne Fritz zu sehr. Daher dürfe sie sich nicht wundern, wenn sie so schlecht behandelt wird. So sind sie eben, die Männer. „(...) das erlebt überhaupt kein Mann mehr, daß ich mich um ihn kränken tät` - das sind sie alle zusamm` nicht wert, die Männer.“ Und an anderer Stelle: „Den Männern soll man überhaupt kein Wort glauben.“ Das Bild, das wir von Mizi im ersten Akt erhalten haben, wird nun differenzierter. Sie ist durchaus nicht nur das leichtlebige, lebensfrohe, zur erotischen Tändelei bereite „süße Mädl“, sie ist eine junge Frau, die nach bitteren Enttäuschungen beschlossen hat, das Leben „realistisch“ zu betrachten. Sie vertritt aufgrund ihrer Erfahrungen mit Männern eine ähnliche Haltung wie Theodor Haltung - allerdings unter anderen geschlechtsspezifischen Vorzeichen: Männer wollen ja doch nur das Eine. Nehmen wir sie bloß nicht allzu ernst!
   Plötzlich erscheint Fritz in der Weiringschen Wohnung. Er besucht Christine zum ersten Mal. Ausführlich „besichtigt“ er ihr Zimmer. Seine Kommentare zu den Bildern, den wenigen Büchern, zur Aussicht über die Dächer Wiens und zur Schubert-Büste verraten einerseits eine gewisse Herablassung des Großbürgersohns gegenüber den Unzulänglichkeiten eines kleinbürgerlichen Milieus, andererseits wird für Fritz, dem ja ein Duell bevorsteht, der „bescheidene“, „nette“ Raum (Regieanweisung Schnitzler) zum Symbol der Geborgenheit. Letztlich verabschiedet sich Fritz, ohne Christine etwas vom bevorstehenden Duell zu sagen.

3.Akt

Christine ist besorgt. Seit zwei Tagen hat sie nichts mehr von Fritz gehört und bittet Mizi, Erkundigungen über seinen Aufenthalt einzuziehen. Mizi vermutet, dass Theodor und Fritz nicht so bald zurückkehren werden – zumindest nicht zu ihr und Christine.
   Hans Weiring kommt nach Hause. Er hat mittlerweile erfahren, dass Fritz tot ist, und er kennt auch die Umstände, unter denen er gestorben ist. Vorsichtig will er Christine darauf vorbereiten, dass sie auf eine Zukunft mit Fritz nicht mehr bauen kann. Christine spürt, dass der Vater mehr weiß als sie selbst. Als sie ihn drängt, ihr die volle Wahrheit zu sagen, kommt Mizi mit Theodor. Von ihm erfährt Christine, dass Fritz im Duell gefallen und bereits begraben ist. Nun wird ihr die Nebenrolle bewusst, die sie in Fritz‘ Leben gespielt hat:

CHRISTINE (...) Ich bin ihm nichts gewesen als ein Zeitvertreib - und für eine andere ist er gestorben - ! Und ich - hab' ihn angebetet! - Hat er denn das nicht gewußt? ...Daß ich ihm alles gegeben hab', was ich ihm hab' geben können, daß ich für ihn gestorben wär' - daß er mein Herrgott gewesen ist und meine Seligkeit - hat er das gar nicht bemerkt? Er hat von mir fortgehn können, mit einem Lächeln, fortgehn aus dem Zimmer und sich für eine andere niederschießen lassen.

Christine verlangt, dass man sie zu Fritz‘ Grab bringt. Weiring und Mizi wollen sie zurückhalten, aber sie stürzt aus dem Haus. Mizi und Theodor folgen ihr. Der Vater bleibt zurück: „Was will sie...was will sie... Er sieht durchs Fenster ins Leere. Sie kommt nicht wieder – sie kommt nicht wieder! – Er sinkt laut schluchzend zu Boden.“



2. HINWEISE ZUR INTERPRETATION

2.1. „Liebelei“ – ein bürgerliches Trauerspiel?

Schnitzlers „Liebelei“ wird immer wieder in eine Reihe mit Werken wie „Emilia Galotti“, „Die Soldaten“, „Kabale und Liebe“ und „Maria Magdalena“ gestellt, also dem Genre des bürgerlichen Trauerspiels zugeordnet. Diese Zuordnung ist teilweise nachvollziehbar, bedarf aber einiger Einschränkungen.
   Die Figurenkonstellation und einige Motive erinnern teilweise an jene bürgerlichen Trauerspiele, die im soziokulturellen Kontext der Aufklärung 100 bis 150 Jahre vor „Liebelei“ entstanden sind. Das Hauptmotiv bürgerlicher Trauerspiele ist die Liebe zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Prinz Gonzaga, die männliche Hauptfigur in Lessings „Emilia Galotti“, begehrt beispielsweise das bislang tugendhafte bürgerliche Mädchen Emilia. Dadurch entsteht in Emilias Seele nach ihrer eigenen Aussage ein „Tumult“, aber sie wagt es nicht, die standespolitisch und moralisch unakzeptable Beziehung zu leben. Die Perspektive dieser Verbindung wäre auch problematisch, da ihr bestenfalls die Rolle einer Mätresse in Aussicht stünde. Das Dilemma endet bekanntlich mit dem Selbstmord der Protagonistin. Luise Miller aus Schillers „Kabale und Liebe“ liebt den Aristokraten Ferdinand von Walter – und er liebt sie, aber die nicht standesgemäße Beziehung wird von Ferdinands Vater bekämpft. Das Ergebnis sind Mord und Selbstmord. Marie Wesener aus Lenz‘ „Die Soldaten“ lässt sich mit dem adeligen Offizier Deportes ein, wird von ihm verlassen und würde wohl als Prostituierte enden, wenn nicht der verzweifelte Vater seine Tochter retten könnte. Es geht also auf die eine oder andere Weise um die Mesalliance, eine nicht standesgemäße Verbindung zweier Menschen. Und gewiss findet man dieses Motiv auch in in Schnitzlers „Liebelei“.
   Allerdings hat sich die Sozialstruktur der Gesellschaft gegenüber dem 18.Jh. verändert, und diese Veränderungen finden ihren Ausdruck in der veränderten Figurenkonstellation der später entstandenen Dramen. Schon in Hebbels Stück „Maria Magdalene“ (1843), das ja auch dem Genre bürgerliches Trauerspiel zugeordnet wird, ist nicht mehr der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum das Thema. Die weibliche Hauptfigur geht nicht an ständischen Grenzen und Vorurteilen zugrunde, sondern vor allem an der Doppelmoral ihres Liebhabers Leonhard und an der spießigen Engherzigkeit des kleinbürgerlichen Vaters.
   In „Liebelei“ sind soziale Unterschiede sehr wohl handlungsbestimmend, aber die Konfliktlinie verläuft nicht mehr zwischen Adel und Bürgertum, sondern eher zwischen großbürgerlicher und kleinbürgerlicher Schicht. Es ist für den Stückverlauf durchaus nicht unerheblich, dass Fritz zur reichen Oberschicht und Christine zum ärmeren Kleinbürgertum gehört. Beide sind durch die kulturellen Parameter ihrer sozialen Herkunft geprägt. Die sexuelle Libertinage bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer äußeren Tugendfassade prägt den Lebensstil der Wiener Oberschicht um 1900. Schnitzler hat dieses Phänomen immer wieder thematisiert. In „Liebelei“ zeigt es sich vor allem in Fritz‘ Verhältnis mit einer verheirateten Frau.
   Christine hingegen ist in einem Milieu kleinbürgerlicher Anständigkeit aufgewachsen, hat – im Gegensatz zu Mizi – noch keine Erfahrungen mit Männern gemacht und wird wohl auch dadurch zum Opfer ihrer Jungmädchen-Träume. Katharina Binder spricht recht klar das Problem sozial ungleicher Mann-Frau-Beziehungen an. Ihre Einstellung (Hände weg von den „Grafen“!) ist nicht in erster Linie als Ausdruck von Missgunst oder Prüderie zu bewerten, wohl auch nicht in erster Linie durch persönliche Interessen motiviert (Sie möchte ja Christine mit dem Cousin ihres Mannes zusammenbringen). Vielmehr zeigt sich in Katharina Binders Kommentar eine durchaus realistische Einschätzung der Verhältnisse, die sie vor allem eigenen ernüchternden Jugenderfahrungen verdanken dürfte. Die Verbindung zwischen einer Musikertochter und einem Sohn aus der Wiener Oberschicht hat nun einmal keine Chance, jemals zur dauerhaften Verbindung zu werden. Sie bleibt eine innerbürgerliche Mesalliance zwischen jungem Herrn und süßem Mädl. Insofern kann man „Liebelei“ bedingt als soziales Drama im Anschluss an die Tradition des bürgerlichen Trauerspiels verstehen.


2.2. Die Vaterfigur

   Besondere Beachtung verdient im Zusammenhang mit der Frage nach der Gattungszugehörigkeit auch die Vaterfigur (Hans Weiring), die sich von den Vaterfiguren bürgerlicher Trauerspiele doch ein wenig unterscheidet. Weder Odoardo Galotti noch Meister Anton ist bewusst, welch lebens- und frauenfeindliche Tugendnormen er vertritt. Die Tyrannei des väterlichen Über-Ichs hat in beiden Dramen einen nicht unerheblichen Anteil am Tod der Töchter. Anders liegt die Sache bei Musikus Miller, der eher ein Pragmatiker der Moral. Er weiß aufgrund seiner Einsicht in die real existierenden Herrschaftsverhältnisse, dass die Beziehung zwischen Luise und Ferdinand nur schlecht enden kann, und er möchte seine Tochter davor schützen.
   Aus Hans Weirings Selbstdarstellung im 2.Akt erfährt man, dass sich sein Verständnis der beschützenden Vaterrolle verändert hat. Er hat in seiner Jugend gegenüber seiner jüngeren Schwester die Vaterrolle eingenommen und die Schwester auf der Grundlage enger bürgerlicher Tugendnormen vor der männlichen Außenwelt geschützt. Dass die Schwester unverheiratet geblieben und letztlich glücklos als „altes Fräulein“ gestorben ist, betrachtet Weiring als seine Schuld. Er möchte Christine dieses stille Form des Unglücks ersparen. Er will ihr mehr Freiheiten einräumen als seiner verstorbenen Schwester, um ihr mehr Lebensglück zu ermöglichen. Dass gerade dadurch Christines Unglück )und vermutlicher Selbstmord) ermöglicht wird, ist das eigentlich tragische Handlungselement des Stücks.

2.3. „Junger Herr“ und „süßes Mädl“

Im Anschluss an all diese Figurenkonstellation stellt sich zweifellos auch die Frage nach den Mann-Frau-Beziehungen. Die Frau ist ja im bürgerlichen Trauerspiel fast immer das Opfer des männliches Begehrens oder einer Machtstruktur, deren Positionen von Männern eingenommen werden. Theodor und Fritz bestimmen den Stellenwert ihrer Frauenbeziehungen (unausgesprochen) im Einklang mit den sozialen Voraussetzungen. Für den großbürgerlichen jungen Herrn hat das kleinbürgerliche süße Mädel von vornherein nur den Stellenwert eines galanten Zeitvertreibs.
„Für den jungen Herrn der Stadt, dem die Maitresse zu kostspielig oder auch zu langweilig ist, der durch eine Prostituierte seine Gesundheit gefährdet sieht, dem die Beziehung zur verheirateten Frau zu riskant ist, der aber seinerseits die standesgemäße junge Dame noch nicht heiraten kann oder will, empfiehlt sich das süße Mädel als Geliebte."“(Rolf-Peter Janz/Klaus Laermann: Arthur Schnitzler. Zur Diagnose des Wiener Bürgertums im Fin de siècle. Stuttgart 1977, S.44)

Theodor lebt dieses erotische Freizeitkonzept mehr oder weniger ungebrochen, und Mizi gibt ihm zu verstehen, dass sie mit den Spielregeln einverstanden ist. Fritz, der ja etwas labiler und sensibler ist, fehlt Theodors „Konsequenz“, aber sein Konstrukt einer Liebesbeziehung ist deshalb nicht weniger problematisch, sozusagen eine poetisierte Variante der Junger-Herr-Süßes-Mädl-Beziehung. Diese erotische  Poesie ist allerdings nur Teil des Spiels.
   Christine hingegen träumt insgeheim –gewiss etwas naiv – einen weiblichen Traum vom dauerhaften Glück mit Fritz, auch wenn sie mehrmals betont, sie wisse, dass diese Liebe nicht für ewig sein könne. Fritz stellt Christines Glücksklischee sein Konstrukt des erfüllten Augenblicks gegenüber. Wenn er mit Christine zusammen ist, dann kann er vorübergehend die restliche Welt vergessen. Daher will er auch nicht, dass ihn Christine nach seinem Leben fragt. Fritz bewegt sich in zwei Welten, in der Welt seines üblichen Alltags und in der auf wenige Stunden beschränkten galant-erotischen Poesiewelt, die ihm das „süße Mädl“ ermöglicht. Ob diese unterschiedlichen Konstrukte als typisch männlich oder typisch weiblich bezeichnet werden können, soll hier offen bleiben, da die Gefahr von geschlechtsspezifischen Klischeebildungen in dieser Hinsicht groß ist.

2.4. Das Duell – sinnentleertes Männerritual

Das Duell ist im europäischen Raum etwa seit dem 15.Jh. nachweisbar. Es handelt sich ursprünglich um ein Ritual des männlichen Adels, durch das vor allem die beleidigte Ehre wieder hergestellt werden sollte. Die katholische Kirche untersagte auf dem Tridentinischen Konzil (1563) Duelle. Auch der Staat, der ja in der Neuzeit immer nachdrücklicher das rechtliche Gewaltmonopol beanspruchte und Formen der privaten Rache ablehnte, untersagte meist das Duell. Dennoch hielt es sich bis zum Beginn des 20.Jhs., insbesondere unter Offizieren, und wurde oft auch zum literarischen Motiv.
   Natürlich war zu Schnitzlers Lebenszeit auch in der Donaumonarchie das Duell untersagt, gepflegt wurde es trotzdem. Meist kam es allerdings dabei nicht mehr zur Tötung des Gegners, sondern man begnügte sich mit dessen Verletzung. Durch rinnendes Blut war die Genugtuung geleistet. In Schnitzlers Werk kommen öfter Duelle vor. Die bekannteste Thematisierung ist wohl diejenige in „Leutnant Gustl“. Der Leutnant wird nach einem Konzertbesuch von einem Bäckermeister beleidigt. Da ein Bäckermeister nicht satisfaktionsfähig ist, kann ihn Leutnant Gustl nicht zum Duell fordern. So gerät er in ein Dilemma, aus dem er sich in seiner seltsamen Logik männlicher Offiziersehre nur durch den Selbstmord befreien kann. Der Zufall will es aber, dass der Bäckermeister an Herzversagen stirbt. So ist Leutnant Gustls Ehre wiederhergestellt und der Protagonist kann unbesorgt weiterleben. Dieser satirische Zugang zum Thema erklärt das Duell zur sinnentleerten gesellschaftlichen Konvention.


III. ARTHUR SCHNITZLER




* Wien 15.5. 1862, t ebd. 21.10.1931. Als Sohn eines angesehenen Arztes und Universitätsprofessors studierte Sch. ebenfalls Medizin und promovierte 1885. Bis 1893 arbeitete er als Assistenzarzt in verschiedenen Wiener Krankenhäusern, danach eröffnete er eine Privatpraxis, übte den ungeliebten Beruf jedoch kaum aus. Später lebte er als freier Schriftsteller in Wien. Durch seine ersten Publikationen lernte er 1890 H. v. Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann (1866-1945), H. Bahr kennen, mit denen er einen Literaturzirkel bildete, der als „Jung(es) Wien“ bekannt wurde.
Sch. entnahm die Themen seiner literarischen Arbeiten der sozialen und politischen Realität der österreichisch-ungarischen Monarchie des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh.s. Psychologisch genau und mit skeptischer Ironie stellte er die bürgerliche Wiener Gesellschaft des Fin de siècle dar, wie sie langsam an ihren inneren Widersprüchen zerbrach.
Typische Gestalten der Epoche führte er als Dramatiker mit dem „leichtsinnigen Melancholiker“ Anatol (Einakterzyklus, 1893, NA 1964) und den Figuren des Reigen (1900) vor. Sein dramatisches Schaffen war in den ersten Jahren noch dem sozialdemokratischen naturalistischen Tendenzstück verbunden. Später gab er die Form der direkten Kritik der bestehenden Moral- und Gesellschaftsordnung zugunsten einer unvoreingenommenen Analyse der Handlungen sowie Denk- und Sprachgewohnheiten seiner Figuren auf. Die Schauspiele Der einsame Weg (1904), Das weite Land (1911) und Professor Bernhardi (1912) sind Dokumente für die Zersetzung der traditionellen Werte und den Zerfall der bürgerlich-liberalen Ordnung vor dem I. Weltkrieg.
Als Erzähler steht Sch. zwischen dem Realismus des 19. Jh.s und der radikalen Verinnerlichung der Erzähltechnik wie etwa bei M. Proust und J. Joyce. Neben konventionellen Formen verwendete er bereits die Stilmittel der erlebten Rede und- erstmals in der deutschen Literatur -des Inneren Monologs (Lieutenant Gust/, 1900; Fräulein Else, 1924). Thematisch steht im Zentrum fast aller Erzählungen die existentielle Krise eines Menschen, aus der dieser jedoch meist ungeläutert hervorgeht (eine der wenigen Ausnahmen bildet die Traumnovelle, 1926) und in einem labilen Zustand verbleibt. Zu Sch.s Prosawerk gehören auch zwei Romane, Der Weg ins Freie ( 1908) und Therese (1928), mit denen er eine Bestandsaufnahme der ganzen Wirklichkeit seiner Zeit zu unternehmen versuchte. Zu erwähnen sind ferner eine Autobiographie, die 1968 unter dem Titel Jugend in Wien herausgegeben wurde, und die mittlerweile edierten Briefwechsel mit literarischen Zeitgenossen; Sch. führte über 50 Jahre lang ein Tagebuch, das seit 1981 sukzessiv veröffentlicht wird.
Heute gilt Sch. als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller der Jahrhundertwende.

 (Quelle: Harenbergs Lexikon der Weltliteratur)



IV. FÜR DEN UNTERRICHT

Anregungen zur Erschließung des Ganztexts


1.Akt

1.       Welche Hinweise auf den Lebensstil und die soziale Zugehörigkeit der beiden männlichen Figuren erhalten Sie am Beginn des 1.Aktes (S.105f.)
2.       Fritz hat sich in eine problematische Situation gebracht. Beschreiben Sie diese Situation.
3.       Welche Haltung gegenüber Frauen vertritt Theodor? (109)
4.       Ohne Fritz`Wissen hat Theodor Mizi und ihre Freundin Christine eingeladen. Er will Fritz von seinen Schwierigkeiten ablenken. Als erste kommt Mizi. Welchen Eindruck bekommen Sie von dieser Figur? Welche Beziehung besteht zwischen Mizi und Theodor? Beachten Sie unter anderem, wie über das Militär gesprochen wird. (Offizier der Reserve zu sein gehörte bei den Söhnen aus der Oberschicht zur gesellschaftlichen Konvention.) (110-113)
5.       Christine kommt nun dazu. Welches Bild dieser Figur gewinnen Sie aufgrund ihres ersten Auftretens? Lesen Sie aufmerksam Christines Dialog mit Fritz und beschreiben Sie die Beziehung, die zwischen den beiden besteht. (113-116)
6.       Die fröhlich-entspannte Stimmung (116-123) wird plötzlich unterbrochen. Was passiert? (123-125)
7.       „Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung“ – Mit diesem Satz erklärt Fritz seiner Bereitschaft zum Duell. Was halten Sie von dieser Konvention, die heute (zumindest als Ritual) aus unserer Gesellschaft verschwunden ist? Meinen Sie, dass es andere Formen des männlichen Zweikampfs wegen einer Frau nach wie vor gibt?
8.  Fritz und Theodor verheimlichen den Frauen die veränderte Situation.

2.Akt

1.       Eine neue Frauenfigur kommt dazu: Katharina Binder. Welches Bild dieser Figur erhalten Sie aufgrund des Dialogs mit Christine und aufgrund des Dialogs mit Christines Vater Hans Weiring?(133-135)
2.       Hans Weiring und Katharina Binder haben gegensätzliche Sichtweisen. Erläutern Sie diesen Gegensatz. Welche Sichtweise ist für Sie selbst besser nachvollziehbar? (135-139)
3.       Der Dialog zwischen Mizi und Christine (141-143) zeigt deutliche Unterschiede zwischen den beiden Figuren. Erläutern Sie diese Unterschiede.
4.       In der nächsten Szene kommt Fritz zu Besuch.(143-148) Er interessiert sich für Christines alltägliche Lebensweise. Welcher Eindruck von Christines Leben entsteht aufgrund der Dinge, die Fritz wahrnimmt und kommentiert?
5.       Verstehen Sie, warum Fritz Christine das bevorstehende Duell verschweigt? Wie interpretiert Christine die Tatsache, dass Fritz Geheimnisse vor ihr hat? (145f.)
6.       Fritz kommt am Ende des Dialogs (147) in eine sentimentale Stimmung. Welchen Einfluss hat Theodors erscheinen auf diese Stimmung?

3.Akt

1.       Fritz und Theodor haben sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet. Welche Reaktion löst dieser Umstand bei Mizi, welche bei Christine aus?
2.       Hans Weiring hat mittlerweile erfahren, dass Fritz im Duell gefallen ist. Er konfrontiert aber seine Tochter nicht sofort mit dieser Information. Beschreiben Sie das Gesprächsverhalten Hans Weirings. Was halten Sie davon?
3.       Wie reagiert Christine, als sie von Fritz` Tod erfährt. Warum ist sie so tief getroffen?

4.       Das Stück endet mit einem „offenen Schluss“. Das Ende wird aber angedeutet – wodurch?

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