I. DIE
SPIELHANDLUNG
1.Akt
Der erste Akt spielt in der Wohnung von
Fritz. Er und sein Freund Theodor – sie kommen gerade von einem kleinen Ausflug
ins Grüne zurück - sind typische „junge Herrn“, Studenten aus der bürgerlichen
Wiener Oberschicht. Der Lebensstil ist ihrer Herkunft angemessen. Im Wagen
gefahren zu werden gehört ebenso dazu wie die Anwesenheit eines Dieners in
Fritz` Wohnung.
Fritz ist nervös. Sorgenvoll schaut er nach der Post. Die Affäre mit
einer verheirateten Frau, die er seit einiger Zeit pflegt, könnte jederzeit
entdeckt werden. Theodor ärgert sich über diese Affäre und macht dafür Fritz`
unverständliche Neigung zu so genannten „dämonischen“, „interessanten“ Frauen
verantwortlich. Damit handelt man sich laut Theodor nur Probleme ein Er stellt
Fritz` Liebestragödien sein eigenes Lebensmodell gegenüber:
THEODOR: (...) Erholen! Das ist der tiefere Sinn. Zum Erholen sind sie
(die Frauen, Anm.) da. Drum bin ich auch immer gegen die sogenannten
interessanten Weiber. Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern
angenehm. Du mußt dein Glück suchen, wo ich es bisher gesucht und gefunden
habe, dort, wo es keine großen Szenen, keine Gefahren, keine tragischen
Verwicklungen gibt, wo der Beginn keine besonderen Schwierigkeiten und das Ende
keine Qualen hat, wo man lächelnd den ersten Kuß empfängt und mit sehr sanfter
Rührung scheidet.
Um Fritz von seinen Unannehmlichkeiten
abzulenken, hat Theodor als Überraschung seine „erholsame“ Frauenbekanntschaft
Mizi und deren Freundin Christine eingeladen. Ein heiterer Abend in Gegenwart
von zwei „süßen Mädeln“ soll Fritz aufheitern. Aufgrund der nun folgenden
Dialoge wird bereits erkennbar, dass Mizi und Christine durchaus
unterschiedlich sind. Mizi repräsentiert genau jenen Typus des „angenehmen Weibes“,
den Theodor zu schätzen weiß, heiter und gesellig, gleichzeitig erotisch und
zärtlich, ohne die Liebe allzu ernst zu nehmen. Christine hingegen wirkt
ernsthafter, dadurch auch verletzbarer. Offen spricht sie von ihrer ständigen
Sehnsucht nach Fritz. Sie fragt ihn eifersüchtig, wer denn die Dame im
schwarzen Samtkleid gewesen sei, mit der sie ihn kürzlich im Theater gesehen
hat, und Fritz` Bemerkung, es sei möglich, dass er einmal für ein paar Tage
verreise, macht sie unglücklich. Was für Fritz Liebelei ist, das ist für
Christine Liebe im ernsthaftesten Sinn des Wortes:
CHRISTINE: Ich hab dich lieb.
FRITZ: Ich hab dich doch auch sehr lieb.
CHRISTINE: Du bist aber mein Alles, Fritz, für dich könnt` ich... Nein,
ich kann mir nicht denken, daß je eine Stunde käm`, wo ich dich nicht sehen
wollte. Solang ich leb`, Fritz –
FRITZ: (unterbricht) Kind, ich bitt dich... so was sag lieber
nicht...die großen Worte, die hab ich nicht gern. Von der Ewigkeit reden wir
nicht...
Die fröhliche, entspannte Stimmung, die während
des Abendessens aufkommt, wird plötzlich gestört, als jemand an der Tür läutet.
Fritz erschrickt, schaut nach und sieht sich einem „Herrn“ gegenüber, dem
Gatten jener „dämonischen“ Frau, mit der er ein Verhältnis hat. Christine,
Theodor und Mizi verschwinden in einem Nebenzimmer. Fritz‘ Befürchtungen
bewahrheiten sich: Die Affäre ist aufgeflogen, der Gatte fordert – den
Gepflogenheiten der Zeit entsprechend - Fritz zum Duell; und Fritz nimmt die
Herausforderung an.
Theodor wird nun heimlich über alles informiert, die beiden Mädchen
werden aber im Unklaren gelassen. In vordergründiger, gespielter Heiterkeit
geht der Abend zu Ende.
2.Akt
Der 2.Akt spielt in der Wohnung, in der
Christine mit ihrem Vater, dem Musiker Hans Weiring, lebt. Katharina Binder,
eine Nachbarin, lädt Christine ein, mit ihr, ihrem Mann und einem nahen
Verwandten, der Christine verehrt, ein Freiluftkonzert zu besuchen. Christine
lehnt ab und wird von Frau Binder recht deutlich darauf hingewiesen, dass man
in der Nachbarschaft bereits über ihre Beziehung mit einem eleganten jungen
Herrn redet. Derlei Beziehungen, so Frau Binder, können nicht gut ausgehen.
Hans Weiring kommt nach Hause und Christine verlässt die Wohnung, um
sich mit Mizi zu treffen. Das Thema, das Frau Binder bereits mit Christine
selbst angeschnitten hat, führt sie im folgenden Dialog mit Weiring weiter.
Frau Binder warnt Weiring nicht nur vor Christines Freundschaft mit Mizi,
sondern auch vor Christines Männerbekanntschaften. Katharina Binder spricht
offensichtlich vor dem Hintergrund eigener, desillusionierender Jugenderfahrungen: „Auf einen Grafen kann man
ja doch nicht warten, und wenn einmal einer kommt, so empfiehlt er sich dann
gewöhnlich, ohne daß er einen geheiratet hat (...) Deswegen sag ich auch immer,
man kann bei einem jungen Mädel nicht vorsichtig genug sein – besonders mit dem
Umgang (...)“. Weiring hat dazu eine andere Sichtweise. Er selbst hat nach dem
Tod seiner Eltern seine jüngere Schwester besonders gut behütet vor allen
„Gefahren“ – damit aber auch vor allem Glück, denn eines Tages ist aus dem
hübschen jungen Mädchen ein einsames „altes Fräulein“ geworden. Mittlerweile
ist die Schwester bereits gestorben. Hans Weiring betrachtet im Rückblick sein
Schutzverhalten als einen Fehler, den er keinesfalls wiederholen möchte.
Christine soll nicht das Schicksal ihrer Tante teilen, soll nicht vor allen
Gefahren geschützt werden - und dadurch die Chance auf ihr Glück verlieren.
Christine ist beunruhigt. Fritz ist nicht zum Rendezvous erschienen. Mizi
wirft Christine vor, sie verwöhne Fritz zu sehr. Daher dürfe sie sich nicht
wundern, wenn sie so schlecht behandelt wird. So sind sie eben, die Männer.
„(...) das erlebt überhaupt kein Mann mehr, daß ich mich um ihn kränken tät` -
das sind sie alle zusamm` nicht wert, die Männer.“ Und an anderer Stelle: „Den
Männern soll man überhaupt kein Wort glauben.“ Das Bild, das wir von Mizi im
ersten Akt erhalten haben, wird nun differenzierter. Sie ist durchaus nicht nur
das leichtlebige, lebensfrohe, zur erotischen Tändelei bereite „süße Mädl“, sie
ist eine junge Frau, die nach bitteren Enttäuschungen beschlossen hat, das
Leben „realistisch“ zu betrachten. Sie vertritt aufgrund ihrer Erfahrungen mit
Männern eine ähnliche Haltung wie Theodor Haltung - allerdings unter anderen
geschlechtsspezifischen Vorzeichen: Männer wollen ja doch nur das Eine. Nehmen
wir sie bloß nicht allzu ernst!
Plötzlich erscheint Fritz in der Weiringschen Wohnung. Er besucht
Christine zum ersten Mal. Ausführlich „besichtigt“ er ihr Zimmer. Seine
Kommentare zu den Bildern, den wenigen Büchern, zur Aussicht über die Dächer
Wiens und zur Schubert-Büste verraten einerseits eine gewisse Herablassung des
Großbürgersohns gegenüber den Unzulänglichkeiten eines kleinbürgerlichen
Milieus, andererseits wird für Fritz, dem ja ein Duell bevorsteht, der
„bescheidene“, „nette“ Raum (Regieanweisung Schnitzler) zum Symbol der
Geborgenheit. Letztlich verabschiedet sich Fritz, ohne Christine etwas vom
bevorstehenden Duell zu sagen.
3.Akt
Christine ist besorgt. Seit zwei Tagen hat
sie nichts mehr von Fritz gehört und bittet Mizi, Erkundigungen über seinen
Aufenthalt einzuziehen. Mizi vermutet, dass Theodor und Fritz nicht so bald
zurückkehren werden – zumindest nicht zu ihr und Christine.
Hans Weiring kommt nach Hause. Er hat mittlerweile erfahren, dass Fritz
tot ist, und er kennt auch die Umstände, unter denen er gestorben ist.
Vorsichtig will er Christine darauf vorbereiten, dass sie auf eine Zukunft mit
Fritz nicht mehr bauen kann. Christine spürt, dass der Vater mehr weiß als sie
selbst. Als sie ihn drängt, ihr die volle Wahrheit zu sagen, kommt Mizi mit
Theodor. Von ihm erfährt Christine, dass Fritz im Duell gefallen und bereits
begraben ist. Nun wird ihr die Nebenrolle bewusst, die sie in Fritz‘ Leben
gespielt hat:
CHRISTINE (...) Ich bin ihm nichts
gewesen als ein Zeitvertreib - und für eine andere ist er gestorben - ! Und ich
- hab' ihn angebetet! - Hat er denn das nicht gewußt? ...Daß ich ihm alles
gegeben hab', was ich ihm hab' geben können, daß ich für ihn gestorben wär' -
daß er mein Herrgott gewesen ist und meine Seligkeit - hat er das gar nicht
bemerkt? Er hat von mir fortgehn können, mit einem Lächeln, fortgehn aus dem
Zimmer und sich für eine andere niederschießen lassen.
Christine verlangt, dass man sie zu Fritz‘
Grab bringt. Weiring und Mizi wollen sie zurückhalten, aber sie stürzt aus dem
Haus. Mizi und Theodor folgen ihr. Der Vater bleibt zurück: „Was will sie...was
will sie... Er sieht durchs Fenster ins
Leere. Sie kommt nicht wieder – sie kommt nicht wieder! – Er sinkt laut schluchzend zu Boden.“
2. HINWEISE
ZUR INTERPRETATION
2.1. „Liebelei“ – ein
bürgerliches Trauerspiel?
Schnitzlers „Liebelei“ wird immer wieder in
eine Reihe mit Werken wie „Emilia Galotti“, „Die Soldaten“, „Kabale und Liebe“
und „Maria Magdalena“ gestellt, also dem Genre des bürgerlichen Trauerspiels
zugeordnet. Diese Zuordnung ist teilweise nachvollziehbar, bedarf aber einiger
Einschränkungen.
Die
Figurenkonstellation und einige Motive erinnern teilweise an jene bürgerlichen
Trauerspiele, die im soziokulturellen Kontext der Aufklärung 100 bis 150 Jahre
vor „Liebelei“ entstanden sind. Das Hauptmotiv bürgerlicher Trauerspiele ist
die Liebe zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Prinz
Gonzaga, die männliche Hauptfigur in Lessings „Emilia Galotti“, begehrt
beispielsweise das bislang tugendhafte bürgerliche Mädchen Emilia. Dadurch
entsteht in Emilias Seele nach ihrer eigenen Aussage ein „Tumult“, aber sie
wagt es nicht, die standespolitisch und moralisch unakzeptable Beziehung zu
leben. Die Perspektive dieser Verbindung wäre auch problematisch, da ihr
bestenfalls die Rolle einer Mätresse in Aussicht stünde. Das Dilemma endet
bekanntlich mit dem Selbstmord der Protagonistin. Luise Miller aus Schillers
„Kabale und Liebe“ liebt den Aristokraten Ferdinand von Walter – und er liebt
sie, aber die nicht standesgemäße Beziehung wird von Ferdinands Vater bekämpft.
Das Ergebnis sind Mord und Selbstmord. Marie Wesener aus Lenz‘ „Die Soldaten“
lässt sich mit dem adeligen Offizier Deportes ein, wird von ihm verlassen und
würde wohl als Prostituierte enden, wenn nicht der verzweifelte Vater seine
Tochter retten könnte. Es geht also auf die eine oder andere Weise um die
Mesalliance, eine nicht standesgemäße Verbindung zweier Menschen. Und gewiss
findet man dieses Motiv auch in in Schnitzlers „Liebelei“.
Allerdings hat sich die Sozialstruktur der Gesellschaft gegenüber dem
18.Jh. verändert, und diese Veränderungen finden ihren Ausdruck in der
veränderten Figurenkonstellation der später entstandenen Dramen. Schon in
Hebbels Stück „Maria Magdalene“ (1843), das ja auch dem Genre bürgerliches
Trauerspiel zugeordnet wird, ist nicht mehr der Konflikt zwischen Adel und
Bürgertum das Thema. Die weibliche Hauptfigur geht nicht an ständischen Grenzen
und Vorurteilen zugrunde, sondern vor allem an der Doppelmoral ihres Liebhabers
Leonhard und an der spießigen Engherzigkeit des kleinbürgerlichen Vaters.
In
„Liebelei“ sind soziale Unterschiede sehr wohl handlungsbestimmend, aber die
Konfliktlinie verläuft nicht mehr zwischen Adel und Bürgertum, sondern eher
zwischen großbürgerlicher und kleinbürgerlicher Schicht. Es ist für den
Stückverlauf durchaus nicht unerheblich, dass Fritz zur reichen Oberschicht und
Christine zum ärmeren Kleinbürgertum gehört. Beide sind durch die kulturellen
Parameter ihrer sozialen Herkunft geprägt. Die sexuelle Libertinage bei
gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer äußeren Tugendfassade prägt den
Lebensstil der Wiener Oberschicht um 1900. Schnitzler hat dieses Phänomen immer
wieder thematisiert. In „Liebelei“ zeigt es sich vor allem in Fritz‘ Verhältnis
mit einer verheirateten Frau.
Christine hingegen ist in einem Milieu kleinbürgerlicher Anständigkeit
aufgewachsen, hat – im Gegensatz zu Mizi – noch keine Erfahrungen mit Männern
gemacht und wird wohl auch dadurch zum Opfer ihrer Jungmädchen-Träume.
Katharina Binder spricht recht klar das Problem sozial ungleicher
Mann-Frau-Beziehungen an. Ihre Einstellung (Hände weg von den „Grafen“!) ist
nicht in erster Linie als Ausdruck von Missgunst oder Prüderie zu bewerten,
wohl auch nicht in erster Linie durch persönliche Interessen motiviert (Sie
möchte ja Christine mit dem Cousin ihres Mannes zusammenbringen). Vielmehr
zeigt sich in Katharina Binders Kommentar eine durchaus realistische
Einschätzung der Verhältnisse, die sie vor allem eigenen ernüchternden
Jugenderfahrungen verdanken dürfte. Die Verbindung zwischen einer
Musikertochter und einem Sohn aus der Wiener Oberschicht hat nun einmal keine Chance,
jemals zur dauerhaften Verbindung zu werden. Sie bleibt eine innerbürgerliche
Mesalliance zwischen jungem Herrn und süßem Mädl. Insofern kann man „Liebelei“
bedingt als soziales Drama im Anschluss an die Tradition des bürgerlichen
Trauerspiels verstehen.
2.2. Die Vaterfigur
Besondere Beachtung verdient im Zusammenhang mit der Frage nach der
Gattungszugehörigkeit auch die Vaterfigur (Hans Weiring), die sich von den
Vaterfiguren bürgerlicher Trauerspiele doch ein wenig unterscheidet. Weder
Odoardo Galotti noch Meister Anton ist bewusst, welch lebens- und
frauenfeindliche Tugendnormen er vertritt. Die Tyrannei des väterlichen
Über-Ichs hat in beiden Dramen einen nicht unerheblichen Anteil am Tod der
Töchter. Anders liegt die Sache bei Musikus Miller, der eher ein Pragmatiker
der Moral. Er weiß aufgrund seiner Einsicht in die real existierenden
Herrschaftsverhältnisse, dass die Beziehung zwischen Luise und Ferdinand nur
schlecht enden kann, und er möchte seine Tochter davor schützen.
Aus
Hans Weirings Selbstdarstellung im 2.Akt erfährt man, dass sich sein
Verständnis der beschützenden Vaterrolle verändert hat. Er hat in seiner Jugend
gegenüber seiner jüngeren Schwester die Vaterrolle eingenommen und die
Schwester auf der Grundlage enger bürgerlicher Tugendnormen vor der männlichen
Außenwelt geschützt. Dass die Schwester unverheiratet geblieben und letztlich
glücklos als „altes Fräulein“ gestorben ist, betrachtet Weiring als seine
Schuld. Er möchte Christine dieses stille Form des Unglücks ersparen. Er will
ihr mehr Freiheiten einräumen als seiner verstorbenen Schwester, um ihr mehr
Lebensglück zu ermöglichen. Dass gerade dadurch Christines Unglück )und
vermutlicher Selbstmord) ermöglicht wird, ist das eigentlich tragische
Handlungselement des Stücks.
2.3. „Junger Herr“ und „süßes
Mädl“
Im Anschluss an all diese
Figurenkonstellation stellt sich zweifellos auch die Frage nach den
Mann-Frau-Beziehungen. Die Frau ist ja im bürgerlichen Trauerspiel fast immer
das Opfer des männliches Begehrens oder einer Machtstruktur, deren Positionen
von Männern eingenommen werden. Theodor und Fritz bestimmen den Stellenwert
ihrer Frauenbeziehungen (unausgesprochen) im Einklang mit den sozialen
Voraussetzungen. Für den großbürgerlichen jungen Herrn hat das kleinbürgerliche
süße Mädel von vornherein nur den Stellenwert eines galanten Zeitvertreibs.
„Für den jungen Herrn der Stadt, dem die Maitresse zu kostspielig oder
auch zu langweilig ist, der durch eine Prostituierte seine Gesundheit gefährdet
sieht, dem die Beziehung zur verheirateten Frau zu riskant ist, der aber
seinerseits die standesgemäße junge Dame noch nicht heiraten kann oder will,
empfiehlt sich das süße Mädel als Geliebte."“(Rolf-Peter Janz/Klaus
Laermann: Arthur Schnitzler. Zur Diagnose des Wiener Bürgertums im Fin de
siècle. Stuttgart 1977, S.44)
Theodor lebt dieses erotische
Freizeitkonzept mehr oder weniger ungebrochen, und Mizi gibt ihm zu verstehen,
dass sie mit den Spielregeln einverstanden ist. Fritz, der ja etwas labiler und
sensibler ist, fehlt Theodors „Konsequenz“, aber sein Konstrukt einer
Liebesbeziehung ist deshalb nicht weniger problematisch, sozusagen eine
poetisierte Variante der Junger-Herr-Süßes-Mädl-Beziehung. Diese erotische Poesie ist allerdings nur Teil des Spiels.
Christine hingegen träumt insgeheim –gewiss etwas naiv – einen
weiblichen Traum vom dauerhaften Glück mit Fritz, auch wenn sie mehrmals
betont, sie wisse, dass diese Liebe nicht für ewig sein könne. Fritz stellt
Christines Glücksklischee sein Konstrukt des erfüllten Augenblicks gegenüber.
Wenn er mit Christine zusammen ist, dann kann er vorübergehend die restliche
Welt vergessen. Daher will er auch nicht, dass ihn Christine nach seinem Leben
fragt. Fritz bewegt sich in zwei Welten, in der Welt seines üblichen Alltags und
in der auf wenige Stunden beschränkten galant-erotischen Poesiewelt, die ihm
das „süße Mädl“ ermöglicht. Ob diese unterschiedlichen Konstrukte als typisch
männlich oder typisch weiblich bezeichnet werden können, soll hier offen
bleiben, da die Gefahr von geschlechtsspezifischen Klischeebildungen in dieser
Hinsicht groß ist.
2.4. Das Duell –
sinnentleertes Männerritual
Das Duell ist im europäischen Raum etwa seit
dem 15.Jh. nachweisbar. Es handelt sich ursprünglich um ein Ritual des
männlichen Adels, durch das vor allem die beleidigte Ehre wieder hergestellt
werden sollte. Die katholische Kirche untersagte auf dem Tridentinischen Konzil
(1563) Duelle. Auch der Staat, der ja in der Neuzeit immer nachdrücklicher das
rechtliche Gewaltmonopol beanspruchte und Formen der privaten Rache ablehnte,
untersagte meist das Duell. Dennoch hielt es sich bis zum Beginn des 20.Jhs.,
insbesondere unter Offizieren, und wurde oft auch zum literarischen Motiv.
Natürlich war zu Schnitzlers Lebenszeit auch in der Donaumonarchie das
Duell untersagt, gepflegt wurde es trotzdem. Meist kam es allerdings dabei
nicht mehr zur Tötung des Gegners, sondern man begnügte sich mit dessen
Verletzung. Durch rinnendes Blut war die Genugtuung geleistet. In Schnitzlers
Werk kommen öfter Duelle vor. Die bekannteste Thematisierung ist wohl diejenige
in „Leutnant Gustl“. Der Leutnant wird nach einem Konzertbesuch von einem
Bäckermeister beleidigt. Da ein Bäckermeister nicht satisfaktionsfähig ist,
kann ihn Leutnant Gustl nicht zum Duell fordern. So gerät er in ein Dilemma,
aus dem er sich in seiner seltsamen Logik männlicher Offiziersehre nur durch
den Selbstmord befreien kann. Der Zufall will es aber, dass der Bäckermeister
an Herzversagen stirbt. So ist Leutnant Gustls Ehre wiederhergestellt und der
Protagonist kann unbesorgt weiterleben. Dieser satirische Zugang zum Thema
erklärt das Duell zur sinnentleerten gesellschaftlichen Konvention.
III. ARTHUR
SCHNITZLER
* Wien 15.5. 1862, t ebd. 21.10.1931. Als Sohn eines angesehenen Arztes
und Universitätsprofessors studierte Sch. ebenfalls Medizin und promovierte
1885. Bis 1893 arbeitete er als Assistenzarzt in verschiedenen Wiener
Krankenhäusern, danach eröffnete er eine Privatpraxis, übte den ungeliebten
Beruf jedoch kaum aus. Später lebte er als freier Schriftsteller in Wien. Durch
seine ersten Publikationen lernte er 1890 H. v. Hofmannsthal, Richard
Beer-Hofmann (1866-1945), H. Bahr kennen, mit denen er einen Literaturzirkel
bildete, der als „Jung(es) Wien“ bekannt wurde.
Sch. entnahm die
Themen seiner literarischen Arbeiten der sozialen und politischen Realität der
österreichisch-ungarischen Monarchie des ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jh.s. Psychologisch genau und mit skeptischer Ironie stellte er die bürgerliche
Wiener Gesellschaft des Fin de siècle dar, wie sie langsam an ihren inneren
Widersprüchen zerbrach.
Typische Gestalten der Epoche führte er als Dramatiker mit dem
„leichtsinnigen Melancholiker“ Anatol (Einakterzyklus,
1893, NA 1964) und den Figuren des Reigen
(1900) vor. Sein dramatisches Schaffen war in den ersten Jahren noch dem
sozialdemokratischen naturalistischen Tendenzstück verbunden. Später gab er die
Form der direkten Kritik der bestehenden Moral- und Gesellschaftsordnung
zugunsten einer unvoreingenommenen Analyse der Handlungen sowie Denk- und
Sprachgewohnheiten seiner Figuren auf. Die Schauspiele Der einsame Weg (1904), Das
weite Land (1911) und Professor
Bernhardi (1912) sind Dokumente für die Zersetzung der traditionellen Werte
und den Zerfall der bürgerlich-liberalen Ordnung vor dem I. Weltkrieg.
Als Erzähler steht Sch. zwischen dem Realismus des 19. Jh.s und der
radikalen Verinnerlichung der Erzähltechnik wie etwa bei M. Proust und J.
Joyce. Neben konventionellen Formen verwendete er bereits die Stilmittel der
erlebten Rede und- erstmals in der deutschen Literatur -des Inneren Monologs (Lieutenant Gust/, 1900; Fräulein Else, 1924). Thematisch steht
im Zentrum fast aller Erzählungen die existentielle Krise eines Menschen, aus
der dieser jedoch meist ungeläutert hervorgeht (eine der wenigen Ausnahmen
bildet die Traumnovelle, 1926) und in
einem labilen Zustand verbleibt. Zu Sch.s Prosawerk gehören auch zwei Romane, Der Weg ins Freie ( 1908) und Therese (1928), mit denen er eine
Bestandsaufnahme der ganzen Wirklichkeit seiner Zeit zu unternehmen versuchte.
Zu erwähnen sind ferner eine Autobiographie, die 1968 unter dem Titel Jugend in Wien herausgegeben wurde, und
die mittlerweile edierten Briefwechsel mit literarischen Zeitgenossen; Sch.
führte über 50 Jahre lang ein Tagebuch, das seit 1981 sukzessiv veröffentlicht
wird.
Heute gilt Sch.
als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller der
Jahrhundertwende.
(Quelle: Harenbergs Lexikon der Weltliteratur)
IV. FÜR DEN UNTERRICHT
Anregungen zur Erschließung
des Ganztexts
1.Akt
1.
Welche Hinweise auf den Lebensstil und die soziale
Zugehörigkeit der beiden männlichen Figuren erhalten Sie am Beginn des 1.Aktes
(S.105f.)
2. Fritz hat sich in
eine problematische Situation gebracht. Beschreiben Sie diese Situation.
3. Welche Haltung
gegenüber Frauen vertritt Theodor? (109)
4. Ohne Fritz`Wissen
hat Theodor Mizi und ihre Freundin Christine eingeladen. Er will Fritz von
seinen Schwierigkeiten ablenken. Als erste kommt Mizi. Welchen Eindruck
bekommen Sie von dieser Figur? Welche Beziehung besteht zwischen Mizi und
Theodor? Beachten Sie unter anderem, wie über das Militär gesprochen wird.
(Offizier der Reserve zu sein gehörte bei den Söhnen aus der Oberschicht zur
gesellschaftlichen Konvention.) (110-113)
5. Christine kommt nun
dazu. Welches Bild dieser Figur gewinnen Sie aufgrund ihres ersten Auftretens?
Lesen Sie aufmerksam Christines Dialog mit Fritz und beschreiben Sie die
Beziehung, die zwischen den beiden besteht. (113-116)
6. Die
fröhlich-entspannte Stimmung (116-123) wird plötzlich unterbrochen. Was
passiert? (123-125)
7. „Ich bin ganz zu
Ihrer Verfügung“ – Mit diesem Satz erklärt Fritz seiner Bereitschaft zum Duell.
Was halten Sie von dieser Konvention, die heute (zumindest als Ritual) aus
unserer Gesellschaft verschwunden ist? Meinen Sie, dass es andere Formen des
männlichen Zweikampfs wegen einer Frau nach wie vor gibt?
8. Fritz und Theodor
verheimlichen den Frauen die veränderte Situation.
2.Akt
1. Eine neue
Frauenfigur kommt dazu: Katharina Binder. Welches Bild dieser Figur erhalten
Sie aufgrund des Dialogs mit Christine und aufgrund des Dialogs mit Christines
Vater Hans Weiring?(133-135)
2. Hans Weiring und
Katharina Binder haben gegensätzliche Sichtweisen. Erläutern Sie diesen
Gegensatz. Welche Sichtweise ist für Sie selbst besser nachvollziehbar?
(135-139)
3. Der Dialog zwischen
Mizi und Christine (141-143) zeigt deutliche Unterschiede zwischen den beiden
Figuren. Erläutern Sie diese Unterschiede.
4. In der nächsten
Szene kommt Fritz zu Besuch.(143-148) Er interessiert sich für Christines
alltägliche Lebensweise. Welcher Eindruck von Christines Leben entsteht
aufgrund der Dinge, die Fritz wahrnimmt und kommentiert?
5. Verstehen Sie, warum
Fritz Christine das bevorstehende Duell verschweigt? Wie interpretiert
Christine die Tatsache, dass Fritz Geheimnisse vor ihr hat? (145f.)
6. Fritz kommt am Ende
des Dialogs (147) in eine sentimentale Stimmung. Welchen Einfluss hat Theodors
erscheinen auf diese Stimmung?
3.Akt
1. Fritz und Theodor
haben sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet. Welche Reaktion löst dieser
Umstand bei Mizi, welche bei Christine aus?
2. Hans Weiring hat
mittlerweile erfahren, dass Fritz im Duell gefallen ist. Er konfrontiert aber
seine Tochter nicht sofort mit dieser Information. Beschreiben Sie das
Gesprächsverhalten Hans Weirings. Was halten Sie davon?
3. Wie reagiert
Christine, als sie von Fritz` Tod erfährt. Warum ist sie so tief getroffen?
4. Das Stück endet mit
einem „offenen Schluss“. Das Ende wird aber angedeutet – wodurch?
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