Sonntag, 31. März 2024

Kulturbrief 16: Wer Gauß nicht liest, versäumt viel. Zur Neuerscheinung "Schiff aus Stein. Orte und Träume"

 Unter dem Titel "Jeder Ort hat sein Geheimnis und seine Geschichte" erschien am 23. März meine OÖN-Rezension zum neuen Buch von Karl-Markus Gauß.

In der Nähe der albanischen Gemeinde Roskovec steht auf einem Hügel ein wuchtiges Schiff aus Stein. Gebaut wurde es in den Neunzigerjahren, gedacht war es als Hotel, es wurde aber nie eröffnet. Drei Brüder aus der Familie, die den seltsamen Bau errichten ließ, hatten im albanischen Hafen Vlora ein Flüchtlingsschiff bestiegen, das aber nie im italienischen Zielort ankam. Mit dem steinernen Schiff sollte den Toten ein Denkmal gesetzt werden.

Das ist der Inhalt der Titelgeschichte von Karl-Markus Gauß‘ neuem Buch „Schiff aus Stein. Orte und Träume“. Wie so oft erzählt der Salzburger Autor von Orten, die ihm Geschichten erzählen, nicht immer spektakuläre, denn für Gauß gibt es „keinen Ort, der es nicht wert wäre, durchwandert und erkundet zu werden, weil ein jeder sein Geheimnis und seine Geschichte hat.“ Immer wieder zieht es den Reisenden nach Südosteuropa. Er erzählt aber auch vom Selbstbehauptungswillen der Litauer, die ihre Sprache gegen die imperialen Dampfwalzen aus Deutschland und Russland verteidigt haben, und er erzählt vom Stift Schlägl, wo er noch dem Orgelspiel des 2016 verstorbenen Musikers Ruprecht Gottfried Frieberger lauschte.

Ob man von „andächtigem“ Lauschen sprechen kann, mag offen bleiben. Gauß verwendet zur Selbstbenennung das Oxymoron „glaubensstrenger katholischer Atheist“, verschweigt aber nicht seine Bewunderung für die Schönheit einer schwarzen Madonna in einer litauischen Renaissancekapelle und den „Schmerz“ des Bewunderers, der „in die Frömmigkeit nicht zurückfinden kann.“ Als er sich gemeinsam mit vielen anderen Trauernden in der Wallfahrtskirche von Attersee für immer vom Schriftsteller Hans Eichhorn verabschiedet, ist er dankbar für das „bewährte Ritual“, das die Kirche anbietet.

Auch über den Leser Karl-Markus Gauß erfahren wir in „Schiff aus Stein“ so manches Erhellende, zum Beispiel über die „Anna Karenina“-Lektüre des Sechzehnjährigen und über jenen Zustand des Lesenden, in dem er so ganz „in einer anderen Welt und zugleich bei sich selbst ist“. Aus Gauß‘ sensiblen Impressionen spricht die genaue, aber nie indezente Menschenbeobachtung, dort und da ironisch, aber zurückhaltend im Urteil. Er beobachtet eine in die Buchstabenwelt versunkene Leserin im Bus, eine gealterte Hippie-Frau in Vilnius, einen Spaghetti essenden Kaffeehausbesucher und andere mehr.

Auch die sogenannten „letzten Dinge“ drängen sich bisweilen in diese literarischen Miniaturen: Friedhöfe, verblassende Erinnerungen und die mit dem Alter zunehmende Anfälligkeit für Krankheiten. Karl-Markus Gauß wird im Mai seinen Siebziger feiern. Dennoch dominieren helle Tonlagen, Schönheit und Humanität – kraftvoll akzentuiert durch die Buch-Widmung: Sie gilt der vor wenigen Monaten geborenen Enkeltochter Amalia Sophie.

Karl-Markus Gauß: „Schiff aus Stein. Orte und Träume“, Zsolnay, 143 Seiten, 23,70 Euro

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