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Samstag, 12. April 2025

Kulturbrief 26: Über Anna Weidenholzers neueste Kurzprosa

Ich mag Kurzgeschichten und kürzere Erzählungen, die künstlerische Idee mit handwerklicher Präzision verbinden. Wirkliche Meisterwerke dieser Art sind selten. Anna Weidenholzers neueste Prosa gehört für mich dazu! Dazu meine OÖN-Rezension:

Peter Bichsel, der Meister subtiler Kurzprosa, ist kürzlich knapp vor seinem neunzigsten Geburtstag gestorben. Aber sein literarisches Erbe lebt. Anna Weidenholzer setzt es fort, nicht im Sinne von Epigonentum, sondern als kreative, originelle Weiterentwicklung einer großen Tradition. In ihrem neuen Buch „Hier treibt mein Kartoffelherz“ bündelt die Autorin 26 Erzähltexte zu vier Blöcken, die den Jahreszeiten entsprechen. Es gibt aber auch andere Zusammenhänge, zum Beispiel Handlungsräume: ein Dorf in den Bergen, ein öffentliches Freibad. Auch Titel und daran gebundene Motive kehren mehrmals wieder: „Möglichkeiten der Zeitgestaltung“, „Formen der Kontaktaufnahme“.

Anna Weidenholzer erzählt Alltagsgeschichten der besonderen Art. Jedes Jahr, pünktlich am 21. Oktober, kommt ein Pensionsgast ins Gebirgstal, den die ehemalige Pensionswirtin den „Flachländer“ nennt. Es scheint ihm wichtig zu sein, dass nichts, aber auch gar nichts in seinem Zimmer Nr.6 verändert wird. Hat er einen Tic? Und wenn ja, ist er harmlos? Eines Tages kommt es zu Meinungsverschiedenheiten über den „richtigen“ Standort eines ausgestopften Eichhörnchens – und der Fachländer kommt nie mehr wieder.

Rätselhaft verhält sich auch die „Frau Künstlerin“, die nach einem längeren, durch ein Stipendium finanzierten Aufenthalt unfähig ist, ihr Zimmer für den nächsten Gast freizugeben. Und was treibt die Frau Magister an, die davon überzeugt ist, dass es ein grobes Versäumnis ist, den Gästen eines Freibads das Pflanzjahr der Bäume vorzuenthalten?

Jeder Mensch hat seine irrationalen Seiten. Das macht einerseits das Leben unserer Spezies abwechslungsreicher, bisweilen auch lustiger, andererseits ist die Grenzregion zwischen bloßer Skurrilität und problematischer Unheimlichkeit schmal. In diesen mehrdeutigen Zwischenräumen siedelt Anna Weidenholzer ihre Prosatexte an. Das Absurde bricht nahezu geräuschlos in den vermeintlich „normalen“ Alltag ein.

„An und für sich war es kein außergewöhnlicher Tag“. Mag schon sein, es könnte aber einer werden. Zum Beispiel dann, wenn Milan seine ehemalige Klavierlehrerin in ihrem Seniorenwohnheim besucht. „Die Gruber“ hat im Alter das Bedürfnis entwickelt, ihre Mitbewohner durch geschmacklose Scherzartikel zu erschrecken. Könnte sie dabei zu weit gegangen sein?

Der Prosaband „Hier treibt mein Kartoffelherz“ umfasst bescheidene 155 Seiten, die Leserinnen und Leser sollten sich aber viel Zeit für diese Kurz- und Kürzestgeschichten, Momentaufnahmen und Prosaminiaturen nehmen. Nur bei konzentrierter Lektüre entfalten sich der stilistische Reichtum, der feine Humor und die subtile Zeichendichte zu voller Wirkung. Es gibt viele gelungene Bücher in der Gegenwartsliteratur. Den Ehrentitel „Sprachkunstwerk“ verdienen trotzdem nicht alle. „Hier treibt mein Kartoffelherz“ gehört sicher dazu.

Anna Weidenholzer: „Hier treibt mein Kartoffelherz“, Matthes & Seitz, 155 Seiten, 23,50 Euro